Erich Maria Remarque - Im Westen nichts Neues.pdf

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Im Westen nichts Neues
Erich Maria
Remarque
Im Westen
nichts Neues
Kiepenheuer &
Witsch
© 1928 by Ullstein AG
Berlin
Alle deutschsprachigen
Rechte bei
Verlag Kiepenheuer &
Witsch Köln Berlin
Schutzumschlag Hannes
Jähn Köln
Gesamtherstellung
Mohndruck
Reinhard Mohn OHG
Gütersloh
Printed in Germany 1971
non-profit scan by
kladdaradatsch
ISBN 3 462 00637 1
Die Geschichte des ersten Weltkrieges, erzählt aus der Sicht eines
einfachen Soldaten: Der neunzehnjährige Paul Bäumer kommt als
ahnungsloser Kriegsfreiwilliger von der Schulbank an die Front – und
erlebt statt der erwarteten Kriegsbegeisterung und Abenteuer die
ganze Brutalität des Gemetzels und das sinnlose Sterben seiner
Kameraden.
In diesem langjährigen literarischen Bestseller beschwört Remarque
die Schrecken des Ersten Weltkrieges mit zupackender Lebendigkeit
und einer Sprache, die für jede Generation wieder neu spricht.
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Dieses Buch soll weder eine Anklage
noch ein Bekenntnis sein.
Es soll nur den Versuch machen,
über eine Generation zu berichten,
die vom Kriege zerstört wurde –
auch wenn sie seinen Granaten entkam.
1.
Wir liegen neun Kilometer hinter der Front. Gestern wurden
wir abgelöst; jetzt haben wir den Magen voll weißer Bohnen
mit Rindfleisch und sind satt und zufrieden. Sogar für abends
hat jeder noch ein Kochgeschirr voll fassen können; dazu gibt
es außerdem doppelte Wurst- und Brotportionen – das schafft.
So ein Fall ist schon lange nicht mehr dagewesen: der Küchen-
bulle mit seinem roten Tomatenkopf bietet das Essen direkt an;
jedem, der vorbeikommt, winkt er mit seinem Löffel zu und
füllt ihm einen kräftigen Schlag ein. Er ist ganz verzweifelt,
weil er nicht weiß, wie er seine Gulaschkanone leerkriegen
soll. Tjaden und Müller haben ein paar Waschschüsseln auf
getrieben und sie sich bis zum Rand gestrichen voll geben
lassen, als Reserve. Tjaden macht das aus Freßsucht, Müller
aus Vorsicht. Wo Tjaden es läßt, ist allen ein Rätsel. Er ist und
bleibt ein magerer Hering.
Das Wichtigste aber ist, daß es auch doppelte Rauch-
portionen gegeben hat. Für jeden zehn Zigarren, zwanzig
Zigaretten und zwei Stück Kautabak, das ist sehr anständig. Ich
habe meinen Kautabak mit Katczinsky gegen seine Zigaretten
getauscht, das macht für mich vierzig Zigaretten. Damit langt
man schon einen Tag.
Dabei steht uns diese ganze Bescherung eigentlich nicht zu.
So splendid sind die Preußen nicht. Wir haben sie nur einem
Irrtum zu verdanken.
Vor vierzehn Tagen mußten wir nach vorn, um abzulösen. Es
war ziemlich ruhig in unserm Abschnitt, und der Furier hatte
deshalb für den Tag unserer Rückkehr das normale Quantum
Lebensmittel erhalten und für die hundertfünfzig Mann starke
Kompanie vorgesorgt. Nun aber gab es gerade am letzten Tage
bei uns überraschend viel Langrohr und dicke Brocken,
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englische Artillerie, die ständig auf unsere Stellung trommelte,
so daß wir starke Verluste hatten und nur mit achtzig Mann
zurückkamen. Wir waren nachts eingerückt und hatten uns
gleich hingehauen, um erst einmal anständig zu schlafen; denn
Katczinsky hat recht: es wäre alles nicht so schlimm mit dem
Krieg, wenn man nur mehr Schlaf haben würde. Vorne ist es
doch nie etwas damit, und vierzehn Tage jedesmal sind eine
lange Zeit.
Es war schon Mittag, als die ersten von uns aus den Baracken
krochen. Eine halbe Stunde später hatte jeder sein
Kochgeschirr gegriffen, und wir versammelten uns vor der
Gulaschmarie, die fettig und nahrhaft roch. An der Spitze
natürlich die Hungrigsten: der kleine Albert Kropp, der von uns
am klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; – Müller V,
der noch Schulbücher mit sich herumschleppt und vom
Notexamen träumt; im Trommelfeuer büffelt er physikalische
Lehrsätze; – Leer, der einen Vollbart trägt und große Vorliebe
für Mädchen aus den Offizierspuffs hat; er schwört darauf, daß
sie durch Armeebefehl verpflichtet wären, seidene Hemden zu
tragen und bei Gästen vom Hauptmann aufwärts vorher zu
baden; – und als vierter ich, Paul Bäumer. Alle vier neunzehn
Jahre alt, alle vier aus derselben Klasse in den Krieg gegangen.
Dicht hinter uns unsere Freunde. Tjaden, ein magerer
Schlosser, so alt wie wir, der größte Fresser der Kompanie. Er
setzt sich schlank zum Essen hin und steht dick wie eine
schwangere Wanze wieder auf; – Haie Westhus, gleich alt,
Torfstecher, der bequem ein Kommißbrot in eine Hand nehmen
und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe; –
Detering, ein Bauer, der nur an seinen Hof und an seine Frau
denkt; – und endlich Stanislaus Katczinsky, das Haupt unserer
Gruppe, zäh, schlau, gerissen, vierzig Jahre alt, mit einem
Gesicht aus Erde, mit blauen Augen, hängenden Schultern und
einer wunderbaren Witterung für dicke Luft, gutes Essen und
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schöne Druckposten. Unsere Gruppe bildete die Spitze der
Schlange vor der Gulaschkanone. Wir wurden ungeduldig,
denn der ahnungslose Küchenkarl stand noch immer und
wartete. Endlich rief Katczinsky ihm zu: »Nun mach deinen
Bouillonkeller schon auf, Heinrich! Man sieht doch, daß die
Bohnen gar sind.«
Der schüttelte schläfrig den Kopf: »Erst müßt ihr alle
dasein.«
Tjaden grinste: »Wir sind alle da.«
Der Unteroffizier merkte noch nichts. »Das könnte euch so
passen! Wo sind denn die andern?«
»Die werden heute nicht von dir verpflegt! Feldlazarett und
Massengrab.«
Der Küchenbulle war erschlagen, als er die Tatsachen erfuhr.
Er wankte.
»Und ich habe für hundertfünfzig Mann gekocht.«
Kropp stieß ihm in die Rippen. »Dann werden wir endlich
mal satt. Los, fang an!«
Plötzlich aber durchfuhr Tjaden eine Erleuchtung. Sein
spitzes Mausegesicht fing ordentlich an zu schimmern, die
Augen wurden klein vor Schlauheit, die Backen zuckten, und
er trat dichter heran: »Menschenskind, dann hast du ja auch für
hundertfünfzig Mann Brot empfangen, was?« Der Unteroffizier
nickte verdattert und geistesabwesend, Tjaden packte ihn am
Rock. »Und Wurst auch?«
Der Tomatenkopf nickte wieder.
Tjadens Kiefer bebten. »Tabak auch?«
»Ja, alles.«
Tjaden sah sich strahlend um. »Donnerwetter, das nennt man
Schwein haben! Das ist dann ja alles für uns! Da kriegt jeder ja
– wartet mal – tatsächlich, genau doppelte Portionen!«
Jetzt aber erwachte die Tomate wieder zum Leben und
erklärte: »Das geht nicht.«
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