Tanith Lee - Cyrion.txt

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                                          Tanith Lee


                                              Cyrion




Cyrion - Poet, Sänger, Söldner und Schwertkämpfer - der
ungewöhnlichste Held der Fantasy.
                      ISBN: 3404200608
                      Lübbe, Berg.-Gladb
                     Originaltitel: Cyrion
                   übersetzt von Eva Eppers
                   Erscheinungsdatum: 1984

      Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
  Vorwort ­ Der Honiggarten

   Der dickliche junge Mann mit dem leuchtend rötlichgelben
Haar verursachte einen gehörigen Aufruhr, als er das Gasthaus
betrat. Und ganz ohne Absicht.
   Geblendet von dem hellen Sonnenlicht in den Straßen,
übersah er eine der drei Eingangsstufen. Als er sich mit einem
unfreiwilligen Satz vor den Folgen seines Irrtums zu bewahren
suchte, prallte er gegen den ahnungslosen Mann, der gerade mit
zwei Flaschen Wein in der Hand vorüberging. Mit einem
zweistimmigen       Überraschungs-     und    Schmerzensschrei
stolperten beide in die Arme der bronzenen Quirri, die den
Eingang bewachte. Und betätigten natürlich den Gong, der an
ihrer Hand hing. Ein lautes Dröhnen hallte durch das Gebäude,
gefolgt von dem Klirren erst einer Weinflasche, dann der
zweiten Weinflasche.
   Ein seidener Vorhang, der beiseite geschoben wurde, gab den
Blick auf den Hauptraum der Schänke und auf zwei
kampfbereite Gäste männlichen Geschlechts frei. Der eine war
ein untersetzter Bursche mit schwarzen Augenbrauen, der
andere ein blonder Westländer, dessen Rüstung einen Soldaten
vermuten ließ, wozu auch der Dolch paßte, den er rein
gewohnheitsmäßig schon gezogen hatte. Aus einem Gang kam
auch der Wirt he rbeigestürzt. Zu ihren Füßen zappelten die
beiden Gestalten und schlugen matt um sich.
   »Bringen sie sich gegenseitig um?«
   »Der Halunke hat meinen armen Sklaven angegriffen!«
   Der dunkelhaarige Mann mit dem Abzeichen eines
Baumeisters griff ein und zerrte den rothaarigen jungen Mann
nach einer Seite, während der halbbetäubte Sklave nach der
anderen Seite rollte. Der Wirt beugte sich über ihn und flötete:
»Sag doch was, Esur. Stirbst du? Wo sich der Preis für Sklaven
eben erst ve rdoppelt hat.«

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  Der Soldat hatte seinen Dolch wieder weggesteckt. Mit einem
belustigten Ausdruck auf seinem hübschen, bärtigen Gesicht
meinte er: »Ein Versehen, glaube ich.« Er drehte sich um und
kehrte in den Gastraum zurück. Mit schamroten Wangen begann
der dickliche Jüngling sein Mißgeschick zu erklären und zog
Geld heraus, um für den vergossenen Wein und den
umgestoßenen Sklaven zu bezahlen. Der Baumeister sah zu und
spielte mit der Goldmünze in seinem Ohr.
  Nachdem er sich von der Unversehrtheit des Sklaven
überzeugt hatte, nahm der Wirt jetzt die bronzene Quirri in
Augenschein. Diese Nachbildung einer heidnischen Statue der
Bienengöttin ­ von den Remusanem eingeführt, als sie vor
Jahrhunderten die Stadt eroberten ­ war das Wahrzeichen seines
Gasthauses, das unter dem Namen>Der Honiggarten<bekannt
war. Der Wirt tastete die Statue mißtrauisch ab, war's zufrieden,
versetzte dem Sklaven einen Tritt, nahm das angebotene Geld
und beschloß die ganze Sache zu vergeben und zu verge ssen.
  »Ihr seid willkommen, Herr. Der Honiggarten, die beste
Schänke in ganz Heruzala, steht zu Eurer Verfügung. Womit
können wir Euch dienen?«
  Rotschopf wischte sich den Schweiß von der Stirn und
bestellte frischen Wein.
  »Und mariniertes, gebratenes Zicklein, mit Honig glasiert ­
unsere Spezialität...«
  »Später«, wehrte der dickliche junge Mann ab.
»Inzwischen...«
  »Ja?«
  »Ich suche einen Mann. Einen bestimmten Mann. Mir wurde
gesagt, ich könnte ihn hier antreffen.«
  »Sein Name, werter Herr?«
  »Cyrion.«
  Der Wirt legte sein Gesicht in Falten.

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   »Den Namen habe ich schon gehört. Ein Schwertkämpfer,
nicht wahr? Wir legen keinen Wert auf Raufbolde.«
   »Ein Schwertkämpfer, aber reich«, bemerkte der Baumeister
leise.
   »Ihr kennt ihn?« forschte Rotschopf.
   »Ich habe von ihm gehört.«
   »Er ist in Heruzala bekannt?«
   »Vielleicht. Außerdem noch an einigen anderen Orten, nehme
ich an.«
   »Man sagt«, meldete sich eine weibliche Stimme zu Wort, ein
rauchiger Alt, »daß er aussieht wie ein Engel.«
   Der Baumeister, der Wirt und Rotschopf starrten hinter einer
hochgewachsenen, anmutigen Frau her, die nach dieser flüchtig
hingeworfenen Bemerkungen an ihnen vorbei und die Treppe
zur Straße hinaufging. Ihr mitternachtsdunkles Haar war reich
mit Perlen durchflochten, und der Duft ihres schweren Parfüms,
der in der Luft hängenblieb, fesselte die Männer noch geraume
Zeit. (Anders als der letzte Ankömmling verfehlte sie keine der
Stufen.) Eilfertig folgte ihr eine Dienerin.
   »Wie Ihr seht«, bemerkte der Wirt, »verkehrt bei uns nur die
allerbeste Kundschaft. Aber wenn er ­ wie Ihr behauptet ­ reich
und wohlerzogen ist, dieser Schirrien, dann könnte er schon hier
eingekehrt sein...«
   »Cyrion«, berichtigte der dickliche junge Mann. Er musterte
den Baumeister aus entschlossenen, wenn auch unzweifelhaft
kurzsichtigen Augen. »Wenn Ihr mir sagt, was Ihr wißt, werde
ich Euch mit Gold belohnen.«
   »Tatsächlich? Ich weiß aber nur sehr wenig.«
   Aber Rotschopf drängte ihn zurück in den Gastraum, und mit
einem resignierten Kopfnicken führte der Baumeister ihn an den
Tisch, an dem er vor dem Zwischenfall gesessen hatte.
   Auf dem Tisch befanden sich Blätter mit architektonischen

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Zeichnungen, ein Federhalter, Tinte und ein kleines
Reche nbrett. Es war ein gemütliches Plätzchen zum Arbeiten.
Ein hohes Fenster sorgte für ausreichendes Licht, und in einem
nahen Käfig sang ein Vogel.
   Der große, geschmackvoll eingerichtete Raum mit den
blaugetünchten Wänden beherbergt e an diesem Morgen nur
wenige Gäste. In einer Ecke hatte der Soldat es sich wieder
bequem gemacht und widmete sich seinem Wein. Weiter hinten
debattierten in einer Nische zwei dunkelgewandete Männer
mehr als lebhaft über die Schriften des Propheten Hesuf. Sie
achteten nicht auf den Neua nkömmling und auch nicht auf den
Wein, der ihnen gebracht wurde.
   Rotschopf setzte sich.
   »Mein Name ist Roilant.« Juwelen funkelten an Kragen und
Fingern, und in dem hellen Licht unter dem Fenster war die
feine Qualität seiner Kleider zu erkennen, die unter dem kleinen
Unglücksfall kaum gelitten hatten. »Der Name meiner Familie
ist, soweit es mein Anliegen betrifft, ohne Bedeutung.
Allerdings könnt Ihr sicher sein, daß ich durchaus in der Lage
bin, Euch zu bezahlen, wenn Ihr mir helft. Ich hoffe, Ihr seid
deswegen nicht beleidigt.«
   »Nein.« Der Baumeister räumte seine Zeichnungen und das
Rechenbrett beiseite, als der mürrische Sklave, Esur, einen
Weinkrug und zwei Becher auf den Tisch knallte. »Ich ziehe es
jedoch vor, meinen Lohn zu verdienen, und bin in diesem Fall
nicht sicher, daß ich es kann. Diese Schänke ist recht gut, wie
Gasthäuser eben so sind. Aber es ist nicht die beste in Heruzala.
In der>Rose<oder im>Adler<hättet Ihr größere Aussichten auf
Erfolg.« Der Sklave tat knurrend seine Zustimmung kund und
bemerkte noch etwas in der Richtung, daß ein gewisser Herr ja
versuchen      könne,     die   dort   beschäftigten     Sklaven
herumzuschubsen, die wesentlich unangenehmer werden
könnten. Dann hinkte er theatralisch davon.

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   Roilant hörte es nicht.
   »Aber man sagte mir, er wäre im>Honiggarten<anzutreffen.«
   »Nun. Jetzt ist er nicht hier. Ihn zu übersehen dürfte
einigermaßen unmöglich sein. Jung, gutaussehend, eisblond und
so prächtig gekleidet wie König Malbarf höchstpersönlich, wenn
auch mit weit besserem Geschmack.«
   Der Soldat am Nachbartisch, der die Bemerkung des
Baumeisters gehört hatte, grinste. »Armer Malban. Unter der
Fuchtel der Königinmutter.«
   Rotschopf Roilant fuhr auf. »Ich bin dem König vorgestellt
worden. Meine Familie ist dem Herrscherhaus von Heruzala in
Treue verbunden, und ich möchte Euch bitten...«
   Seine Bitte wurde von einem plötzlich aufflammenden Streit
übertönt. Der ältere der beiden Debattierer in der Nische war
aufgestanden und schlug mit der Faust auf den Tisch.
   »Diese Zeile, wie jeder gebildete Mensch weiß, wurde falsch
aus dem Remusischen übersetzt. Habt Ihr keinen Verstand,
junger Mann?«
   Sein Gegenüber, ein Herr Ende Fünfzig, überhörte den>jungen
Mann<und rief: »Da seid Ihr im Irrtum!«
   »Ich sage Euch, der Ausdruck>demütig<ist falsch. Das ist seit
Jahren bekannt -«
   Sie sprachen wieder leiser.
   Der Soldat hatte seinen Wein ausgetrunken, hielt aber seinen
Becher in der Hand, als er zum Tisch des Baumeisters
hinüberschlenderte und sich kameradschaftlich neben Roilant
niederließ.
   »Der alte heilige Mann da drüben«, meinte der Soldat,
»besitzt ziemlich viele Ringe. Zwar nicht ungewöhnlich bei
solchen Leuten wie den Nomaden, die ihren Reichtum bei sich
tragen müssen. Aber verwunderlich bei einem Weisen, wofür
ich den Mann halte -«

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   »Um auf Cyrion zurückzukommen«, bemerkte Roilant.
   »Seht Ihr«, sagte der Baumeister, »dieser Euer Cyrion ist
schwer zu packen. Und nicht nur ein einfacher Schwertkämpfer,
scheint es. Jetzt sagt man, er sei mit einer Karawane unterwegs.
Dann studiert er in einer der großen Bibliotheken. Dann wieder
überlistet er einen Dämonen auf einem Berggipfel.«
   Der Soldat setzte die Aufzählung fort. »Jetzt ist er in
Heruzala. Dann ist er in Andriok. Dann wieder in der Wüste.
Wo jetzt? In Luft aufgelöst.«
   »Seit zwei Wochen bin ich auf der Suche nach ihm«,
bemerkte Roilant. Er, der Baumeister und der Soldat trank...
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