Robert Aspirin - Ein Dämon zuviel.pdf

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>Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden,
als eure Schulweisheit sich träumt, Horatio<
HAMLET
Einer der wenigen befreienden Aspekte von Lehrern,
so glaube ich, ist die Tatsache, daß man sie gelegent-
lich täuschen kann. Dies traf zu, als meine Mutter mir
das Lesen beibrachte, es stimmte, als mein Vater ver-
suchte, aus mir einen Bauern zu machen, und es hat
auch jetzt seine Richtigkeit, da ich die Magik erlerne.
»Du hast nicht geübt!« Garkins strenge Vorhaltung
riß mich aus meinen Träumereien.
»Hab ich wohl!« protestierte ist. »Es ist halt eine
schwierige Übung.«
Wie zur Antwort begann die Feder, an der ich mich
in Levitation übte, mitten in der Luft zu zittern und zu
schaukeln. ,
»Du konzentrierst dich nicht richtig!« schalt er
mich.
»Es liegt am Luftzug«, widersprach ich und hätte
am liebsten hinzugefügt >von deiner großen Klappe<,
aber ich traute mich nicht. Schon früh bei unserem
Unterricht hatte Garkin seine Abneigung gegenüber
frechen Lehrlingen unter Beweis gestellt.
»Am Luftzug!« höhnte er und imitierte meine
Stimme. »So geht das, Tölpel!«
Mein geistiger Kontakt mit dem Gegenstand meiner
Konzentration wurde unterbrochen, als die Feder
plötzlich zur Decke schoß. Sie kam zum Halten, als
klebte sie da oben an etwas fest, obwohl sie etwa noch
25 cm von den Holzbalken entfernt war, dann tanzte
sie in flachen Kreisbewegungen herab. Die Kreise, die
sie zog, waren zu exakt, um natürlich zu sein.
Ich riskierte ein Auge auf Garkin. Er hing mit bau-
melnden Füßen in seinem Sessel, wobei seine ganze
Aufmerksamkeit scheinbar auf eine Keule des geröste-
ten Echsenvogels gerichtet war, den er verzehrte —
einen Vogel, den ich gefangen habe, nebenbei gesagt.
Das war wirklich Konzentration! Er sah plötzlich
hoch, und unsere Blicke trafen sich. Da es zu spät war,
die Augen abzuwenden, blickte ich ihm halt einfach
ins Gesicht.
»Hungrig?« Sein fetttriefender salz-und-pfeffer-
grauer Bart umrahmte plötzlich ein wölfisches Grin-
sen. »Dann führ mir mal vor, wieviel du geübt hast.«
Ich brauchte einen ganzen Herzschlag lang, um zu
begreifen, was er meinte; dann sah ich verzweifelt
hoch. Die Feder schaukelte dem Fußboden entgegen
und befand sich bereits in Schulterhöhe. Ich ver-
suchte, die plötzliche Anspannung aus meinem Kör-
per zu verdrängen, und griff mit meinem Geist zu ...
vorsichtig ... bilde ein Kissen ... stoße sie nicht
zurück ...
Knapp zwei Handbreit über dem Boden kam die
Feder zum Stehen.
Ich vernahm Garkins leises Kichern, ließ jedoch
nicht zu, daß es meine Konzentration störte. Seit drei
Jahren hatte ich die Feder nicht mehr den Boden
berühren lassen, und jetzt sollte sie es auch nicht.
Langsam hob ich sie an, und sie schwebte in Augen-
höhe. Ich hüllte sie mit meinem Denken ein, ließ sie
um ihre Achse kreisen und verführte sie dann zu
einem doppelten Salto. Während ich sie durch diese
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Übung geleitete, waren ihre Bewegungen nicht so
weich und sicher wie unter Garkins Führung, sie
behielt jedoch unbeirrbar den vorgegebenen Kurs bei.
Ich hatte zwar mit der Feder nicht geübt, aber geübt
hatte ich. Wenn Garkin nicht in der Nähe oder mit sei-
nen eigenen Studien beschäftigt war, widmete ich
meine Zeit der Levitation von Metallstücken — Schlüs-
seln, um genau zu sein. Jeder Levitationstypus hat
seine eigenen, immanenten Schwierigkeiten. Die
Feder zum Beispiel, als früherer Bestandteil von etwas
Lebendingem, war reaktionsfreudig ... zu reaktions-
freudig. Metall anzuheben war anstrengend, mit einer
Feder umzugehen erforderte dagegen Feinfühligkeit.
Hatte ich zwischen diesen beiden zu wählen, so zog
ich die Arbeit mit Metall vor. Ich sah darin bessere,
konkretere Anwendungsmöglichkeiten für meinen
eigentlichen Beruf.
»Ganz ordentlich, Bursche. Jetzt leg sie wieder ins
Buch.«
Ich lächelte vor mich hin. Diesen Teil hatte ich trai-
niert, nicht wegen seiner potentiellen Anwendung,
sondern rein zum Vergnügen.
Das Buch lag aufgeschlagen am Ende der Werkbank.
Ich holte die Feder in einer ausholenden, trägen Spiral-
bewegung herunter, ließ sie dabei leicht die Seiten des
Buches streifen, hochsteigen in einem steilen Bogen,
bis sie innehielt und wieder herunterkam. Als sie sich
zum zweiten Male dem Buch näherte, löste ich einen
Teil meines Denkens ab, der sich auf das Buch konzen-
trierte. Als die Feder über die Seiten schaukelte,
schnappte das Buch zu wie die Kiefer eines hungrigen
Raubtieres, das den Flugkörper im Griff hat.
»Hmm«, ließ Garkin vernehmen, »ein bißchen
angeberisch, aber wirksam.«
»Nur eine Kleinigkeit, die ich so beim Üben zusam-
mengestellt habe«, sagte ich angelegentlich und
streckte meine Geisteskräfte nach der anderen Ech-
senvogelkeule aus. Anstatt jedoch graziös in meine
wartende Hand zu schweben, blieb sie auf dem Holz-
brett liegen, als habe sie Wurzeln geschlagen.
»Nicht so hastig, mein kleiner Strauchdieb. Du hast
also geübt, ha?« Er streichelte sich den Bart mit dem
halb abgenagten Knochen in seiner Hand. Widerlich.
»Sicher! Habe ich das nicht bewiesen?« Es kam mir
in den Sinn, daß Garkin vielleicht doch nicht so leicht
zu täuschen war, wie es manchmal schien.
»In dem Fall möchte ich gerne mal sehen, wie du
deine Kerze anzündest. Das müßte dir ja leichtfallen,
wenn du so viel geübt hast, wie du behauptest.«
»Ich habe keine Einwände dagegen, es zu ver-
suchen, aber wie du selbst so viele Male gesagt hast,
fallen einem manche Übungen schwerer als andere.«
Obwohl ich einen selbstsicheren Ton anschlug,
sank mir das Herz in die Hosen, als die große Kerze
auf Garkins Aufforderung zum Arbeitstisch
geschwebt kam. In vier Jahren war mir diese beson-
dere Übung noch niemals gelungen. Wenn Garkin mir
das Essen vorenthalten würde, bis ich Erfolg hätte,
könnte ich lange Zeit mit hungrigem Magen herum-
laufen.
-»Weißt du, Garkin, mir fällt da gerade ein, daß ich
mich mit vollem Mangen wahrscheinlich besser kon-
zentrieren könnte.«
»Mir fällt da gerade ein, daß du Ausflüchte machst.«
»Könnte ich nicht ...«
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