Melanie Hinz - Unerwartet.pdf

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Melanie Hinz
Unerwartet
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1. Auflage Dezember 2012
Copyright © 2012 by Melanie Hinz
Coverfoto: Shutterstock
Gestaltung/Satz: Melanie Hinz
Lektorat: Malin Wolf / Melanie Hinz
Alle Rechte vorbehalten,
einschließlich das des
vollständigen oder teilweisen
Nachdrucks in jeder Form.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte Daten über diese Publikation sind über
die Website: http://dnb.de einsehbar.
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1.
Es ist viel zu heiß für diese Jahreszeit. Der Kalender zeigt erst die zweite Maiwoche, dennoch brennt
mir die Sonne in meiner kleinen Backstube durch das Fenster in den Rücken. Die geöffnete Tür bringt
keine wirkliche Erleichterung. Obwohl uns der große Mittagsansturm noch bevorsteht, freue ich mich jetzt
schon auf eine kühle Dusche nach dem Feierabend.
„Was ist da draußen los?“, frage ich meine Mitarbeiterin, während ich mit einer Kiste frisch belegter
Baguettes in den vorderen Teil des Ladens trete.
Ich räume den Nachschub in die Auslage und schaue an Steffi vorbei, die gerade die Straße beobachtet.
„Der neue Nachbar zieht ein. Schau dir das an, Kati.“
„Du Luder!“ Spielerisch zwicke ich sie in die Seite, kann aber dann nicht anders, als dem Treiben auf
der Straße zuzusehen. Zwei Männer mit einem sehr ansehnlichen Körperbau, räumen mit freiem
Oberkörper Möbel und Kartons aus einem Transporter.
„Wir sollten ihnen kalte Getränke spendieren. Auf gute Nachbarschaft und so.“
„Welcher ist es?“, frage ich beiläufig. Ich muss ja schließlich wissen, wer in das große Apartment auf
meiner Etage zieht.
„Der mit den Tattoos und den schwarzen Haaren. Also wenn ich nicht schon verheiratet wäre …“
„Dann würdest du ihn trotzdem nur anschmachten und nicht ansprechen.“
Steffi ist nicht nur meine Mitarbeiterin, sondern schon lange eine gute Freundin. Deswegen darf ich ihr
so etwas durchaus sagen. Sie ist gut in ihrem Job und tut alles für die Leute, die sie liebt, aber außerhalb
ihrer vertrauten Bereiche ist sie durch und durch schüchtern.
„Du hast ja recht“, seufzt sie. „Kommst du jetzt alleine klar? Dann gehe ich hoch und fange an zu
kochen. Du kannst Ben sofort zu mir schicken, wenn er von der Schule kommt.“
„Ich bin soweit durch, du kannst Feierabend machen.“
Steffi war und ist immer noch mein rettender Engel. In der schlimmsten Zeit, als mein Bruder Ben und
ich unsere Eltern verloren haben, hat sie mich in allem unterstützt und mir oft den Hals gerettet. Mit ihrem
Mann Matthias hat sie bislang keine eigenen Kinder, obwohl ich weiß, dass sie sich das sehr wünscht und
ihr mit Ende Dreißig auch langsam die Zeit davon läuft.
Dankbarkeit deckt es schon lange nicht mehr, was ich ihr schulde, aber ich weiß, dass sie nie etwas
einfordern würde.
Ich habe gerade Ben zum Mittagessen hochgeschickt, als Steffi mir eine Nachricht sendet.
- Du solltest ihnen wirklich etwas zum Trinken spendieren, Kati. Es ist so heiß draußen und der
Doktor sieht sogar von hier oben sehr durstig aus. Steffi –
Grinsend bediene ich zwei Kunden und entscheide mich dann dagegen, ihr zu antworten. Schon lange
will Steffi mich verkuppeln. Egal was ich sage, sie würde sich nur angespornt fühlen. Ein Mann ist
momentan wirklich das Letzte, was ich brauche. Ben kommt gerade mit voller Wucht in die Pubertät und
ich muss nicht noch jemanden haben, um den ich mich kümmern muss.
Am frühen Abend sitzt mein Bruder an dem kleinen Tisch hinter der Theke und macht seine
Hausaufgaben. So sehr ich mir auch wünschen würde, dass er da schon ein wenig eigenverantwortlicher
wäre, muss ich ihn doch leider immer noch kontrollieren.
„Brauchst du Hilfe?“, frage ich, als für einen Moment alle Gäste versorgt sind und ein wenig Ruhe
herrscht. Während ich seine Apfelschorle auffülle, sehe ihm über die Schulter.
„Ich komme schon klar“, winkt er mich wie eine lästige Fliege beiseite. Er wird nächsten Monat
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dreizehn Jahre alt, aber er fühlt sich schon seit einer Weile zu cool für seine große Schwester. Ben ist
nicht dumm, doch wenn ich ihm nicht regelmäßig in den Hintern treten würde, dann hätte er das letzte
Schuljahr nicht gepackt.
Mein neuer Nachbar und sein Umzugshelfer scheinen für heute Feierabend zu machen. Sie ziehen sich
ihre T-Shirts über und verabschieden sich voneinander. Der Neue winkt dem davonfahrenden
Miettransporter hinterher und dreht sich dann um. Für einen Moment bleibt er zögernd vor meinem
Coffeeshop stehen und gibt mir die Möglichkeit, sein hübsches Gesicht zu betrachten. Nur für Sekunden
treffen sich unsere Blicke, bevor er kopfschüttelnd abdreht und doch lieber in den Hauseingang
hineingeht.
Ein paar Minuten vor Feierabend räume ich die Theke aus und die Reste des Tages in eine Kiste, die
gleich ein Mitarbeiter der Tafel abholen wird. Gerade will ich die Vordertür zuschließen, als sich noch
eine Person dazwischen schiebt.
Es ist mein neuer Nachbar. Er riecht frisch geduscht und sieht verboten gut aus. Und ich sollte darauf
wirklich nicht so genau achten.
„Wir schließen gerade. Die Kaffeemaschine ist schon gereinigt für heute.“
Mir entgeht nicht, wie gut sich sein schwarzes Shirt an den trainierten Oberkörper schmiegt und wie
tief seine Jeans auf den Hüften sitzt. Auch die Tatsache, dass er die ganze Zeit auf meinen Mund starrt,
bleibt mir nicht verborgen. Seine Augen sind von einem tiefen und satten Braun. Die Farbe ist so intensiv,
dass es fast künstlich wirkt.
„Auf Kaffee kann ich verzichten, aber etwas Essbares wäre großartig.“
Er hat eine raue, tiefe Stimme, die mir direkt ins Höschen fährt. Ich habe keine Ahnung, was heute mit
mir los ist. Das muss am heißen Wetter liegen.
„Ich hab wirklich nicht mehr viel da“, sage ich, lasse ihn aber trotzdem an mir vorbeigehen. Damit sich
nicht noch mehr Gäste eingeladen fühlen, schließe ich hinter ihm die Tür ab.
„Ich schau mal nach, ob noch etwas von der Quiche übrig ist. Ist grüner Tee okay, oder lieber etwas
Kaltes?“
„Grüner Tee ist perfekt.“ Lässig lehnt er sich an den Tresen und beobachtet jede meiner Bewegungen.
„Ich bin übrigens Jakob. Wie ich gehört habe, sind wir direkte Nachbarn.“
Ich beschäftige meine Hände mit dem Aufwärmen der Quiche. Der Typ macht mich auf einer Ebene
nervös, die ich so noch nie erlebt habe. Dennoch bin ich dumm genug, mich mit ihm im Laden
einzuschließen. Mit bebenden Händen gieße ich kochendes Wasser auf den Teebeutel.
„Ich heiße Katharina“, sage ich und stelle ihm eine dampfende Tasse hin. Warum habe ich das jetzt
gesagt? Niemand nennt mich Katharina, alle sagen Kati. Ich stelle mich auch sonst nie als Katharina vor,
solange es nicht gerade etwas Geschäftliches ist.
„Aber die meisten Leute sagen Kati.“ Ein eher magerer Versuch, mit zitternder Stimme die Kurve zu
kriegen. Mein Gott, Kati. Reiß dich zusammen.
„Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Katharina“, sagt er in einer tiefen Stimme, die mir die
Knie weich macht. Jakob nimmt seinen Tee und setzt sich an den nächsten Tisch. Ich bringe ihm seine
Quiche und verschwinde wieder hinter der Theke, um weiter sauber zu machen. Wenige Momente später
klopft der Herr von der Tafel an die Vordertür des Coffeeshops. Ich übergebe ihm die Kiste mit Kuchen
und belegten Baguettes, um gleich wieder hinter ihm abzuschließen. Da ich nicht unhöflich sein und
meinen neuen Nachbarn rausschmeißen will, rufe ich Ben an, um ihn ins Bett zu schicken.
„Hmf…“, begrüßt er mich mit verschlafener Stimme.
„Geh ins Bett, Ben. Es ist spät und du sollst nicht immer auf der Couch einschlafen. Du bist schon lange
zu schwer, um dich ins Bett zu tragen.“
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