Courtney Allison Moulton - Angelfire 01 - Meine Seele gehört dir.pdf

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Für meine Mutter,
die niemals auch nur einen Augenblick lang
aufgehört hat, an mich zu glauben.
EINS
I ch starrte aus dem Fenster des Klassenzimmers und träumte
davon, frei zu sein, aber ich saß hier fest. Überall hätte ich sein
wollen, nur nicht hier, wo ich wie alle anderen die Aus-
führungen meines Wirtschaftskundelehrers über mich ergehen
lassen musste. Als ich ihm noch zugehört hatte, hatte er über
Finanzpolitik gesprochen, und das war auch schon der Moment
gewesen, in dem er mich verloren hatte. Mein Blick wanderte
zu meiner besten Freundin, Kate Green, die selbstvergessen
ihre Notizen mit einem kunstvollen Blumenmuster verzierte.
Dann starrte ich auf die grauen Brusthaare, die wie Stahlwolle
aus dem Kragen von Mr Meyers Polohemd hervorquollen, und
fragte mich, ob er jemals über Enthaarung nachgedacht hatte.
Nach weiteren einschläfernden zwanzig Minuten weckte der
erlösende Gong meine Lebensgeister und ließ mich erleichtert
aufspringen. Kate schob ihre Arbeitsblätter in ihren Ordner
und folgte mir durch den Gang zwischen den Tischen. Die an-
deren Zwölftklässler stürmten wie von der Tarantel gestochen
zur Tür.
»Ms Monroe?«, rief Mr Meyer mir nach, als ich gerade hinaus-
gehen wollte.
Ich drehte mich zu Kate um: »In fünf Minuten an deinem
Schließfach?«
Sie nickte und folgte den anderen Schülern auf den Flur, bis
ich mit unserem Lehrer allein zurückblieb. Mr Meyer schaute
mich
durch
seine
dicken
Brillengläser
freundlich
an
und
winkte mich zu sich.
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Ich holte tief Luft, denn ich ahnte, worüber er mit mir reden
wollte. »Ja, Sir?«
Sein Lächeln war warmherzig und nett, sein grauer Bart
kräuselte sich um seine schmalen Lippen. Er schob die Brille
hoch. »Der Test letzte Woche ist wohl nicht so gut gelaufen?«
Ich wappnete mich. »Nein, Sir.«
Er blickte zu mir auf. »Letztes Jahr in meinem Politikkurs
haben Sie anfangs sehr gut mitgearbeitet, aber in den letzten
Monaten des Schuljahrs wurden Ihre Noten schlechter. Nach
den Sommerferien sind sie noch weiter in den Keller gegan-
gen. Ich möchte, dass Sie wieder besser werden, Ellie.«
»Ich weiß, Mr Meyer«, erwiderte ich zerknirscht. Tausend
Entschuldigungen kamen mir in den Sinn. Ich war abgelenkt.
Abgelenkt durch die College-Bewerbungen, die ständigen
Streitereien meiner Eltern, die Albträume, die mich Nacht für
Nacht quälten. Natürlich wollte ich mit meinem Wirtschaft-
skundelehrer nicht über meine Probleme reden. Sie gingen ihn
nichts an. Also entschied ich mich für eine vage Antwort. »Es
tut mir leid. Ich war abgelenkt. Im letzten Jahr war so viel los.«
Er stützte die Ellbogen auf seinen vollgepackten Tisch und
beugte sich vor. »Ich weiß, es steht eine Menge an in der Ab-
schlussklasse. College, Freunde, Homecoming, Jungs … Es
gibt so vieles, das Sie beschäftigt. Aber Sie müssen sich auf
das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.«
»Ich weiß«, sagte ich schuldbewusst. »Danke.«
»Und ich spreche nicht nur von der Schule«, fuhr er fort. »Das
Leben hält Prüfungen für Sie bereit, von denen Sie noch nichts
ahnen.
Lassen
Sie
nicht
zu,
dass
die
künftigen
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Herausforderungen das Gute, das Sie in sich tragen, verändern
oder Sie vergessen lassen, wer Sie sind. Sie sind ein nettes
Mädchen, Ellie. Ich hatte Sie immer gern in meinen Kursen.«
»Danke, Mr Meyer«, sagte ich mit aufrichtigem Lächeln.
Er lehnte sich zurück. »Dieser Kurs ist nicht besonders schwi-
erig. Ich bin mir ganz sicher, wenn Sie sich ein bisschen mehr
Mühe geben, werden Sie ihn bestimmt schaffen. Mein Kurs ist
nichts im Vergleich zu dem, was da draußen in der realen Welt
vor sich geht. Ich weiß, dass Sie das hinkriegen.«
Ich nickte, obwohl er diese kleine Ansprache sicher für jeden
parat hatte, der bei einem Test mit zwanzig Fragen ein »Aus-
reichend« bekommen hatte, aber seine Worte klangen so ehr-
lich, dass ich sie ihm abkaufen wollte. »Danke, dass Sie an
mich glauben.«
»Ich sage das nicht zu jedem, dessen Noten schlechter wer-
den«, erwiderte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich
meine es ernst. Ich glaube an Sie. Aber Sie müssen auch an
sich selbst glauben, versprochen?«
Mein Lächeln wurde breiter. »Danke. Bis morgen.«
»Ich werde hier sein«, sagte er und erhob sich mühevoll von
seinem Stuhl. Seit dem ersten Schultag nach den Ferien ben-
utzte er einen Stock. »Sie haben bald Geburtstag, stimmt’s?«
Ich sah ihn erstaunt an. »Ja, woher wissen Sie das? Soll ich
selbstgebackene Muffins für alle mitbringen, oder so?«
Er lachte. »Nein, nein. Es sei denn, Sie möchten es gern. Ich
hätte
nichts
dagegen.
Alles
Gute
zum
Geburtstag,
Ms
Monroe.«
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