Klein Zaches, genannt Zinnober - E. T. A. Hoffmann.pdf

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The Project Gutenberg EBook of Klein Zaches, genannt Zinnober, by E. T. A. Hoffmann
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Title: Klein Zaches, genannt Zinnober
Author: E. T. A. Hoffmann
Release Date: October, 2005 [EBook #9200] [This file was first posted on September 15, 2003]
Edition: 10
Language: German
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, KLEIN ZACHES, GENANNT
ZINNOBER ***
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(http://www.gutenberg2000.de/etahoff/zaches/zaches.htm), prepared by Gerd Bouillon.
Klein Zaches genannt Zinnober
Ein Märchen
E.T.A. Hoffmann
Erstes Kapitel: Der kleine Wechselbalg. - Dringende Gefahr einer
Pfarrersnase. - Wie Fürst Paphnutius in seinem Lande die
Aufklärung einführte und die Fee Rosabelverde in ein Fräuleinstift
kam.
Zweites Kapitel: Von der unbekannten Völkerschaft, die der Gelehrte
Ptolomäus Philadelphus auf seinen Reisen entdeckte. - Die
Universität Kerepes. - Wie dem Studenten Fabian ein Paar
Reitstiefel um den Kopf flogen und der Professor Mosch Terpin den
Studenten Balthasar zum Tee einlud.
Drittes Kapitel: Wie Fabian nicht wußte, was er sagen sollte. -
Candida und Jungfrauen, die nicht Fische essen dürfen. - Mosch
Terpins literarischer Tee. - Der junge Prinz.
Viertes Kapitel: Wie der italienische Geiger Sbiocca den Herrn
Zinnober in den Kontrabaß zu werfen drohte, und der Referendarius
Pulcher nicht zu auswärtigen Angelegenheiten gelangen konnte. -
Von Maut-Offizianten und zurückbehaltenen Wundern fürs Haus. -
Balthasars Bezauberung durch einen Stockknopf.
Fünftes Kapitel: Wie Fürst Barsanuph Leipziger Lerchen und Danziger
Goldwasser frühstückte, einen Butterfleck auf die Kasimirhose
bekam und den Geheimen Sekretär Zinnober zum Geheimen Spezialrat
erhob. - Die Bilderbücher des Doktors Prosper Alpanus. - Wie
ein Portier den Studenten Fabian in den Finger biß, dieser ein
Schleppkleid trug und deshalb verhöhnt wurde. - Balthasars Flucht.
Sechstes Kapitel: Wie der Geheime Spezialrat Zinnober in seinem
Garten frisiert wurde und im Grase ein Taubad nahm. - Der
Orden des grüngefleckten Tigers. - Glücklicher Einfall eines
Theaterschneiders. - Wie das Fräulein von Rosenschön sich
mit Kaffee begoß und Prosper Alpanus ihr seine Freundschaft
versicherte.
Siebentes Kapitel: Wie der Professor Mosch Terpin im fürstlichen
Weinkeller die Natur erforschte. - Mycetes Belzebub. -
Verzweiflung des Studenten Balthasar. - Vorteilhafter Einfluß
eines wohleingerichteten Landhauses auf das häusliche Glück. - Wie
Prosper Alpanus dem Balthasar eine schildkrötene Dose überreichte
und davonritt.
Achtes Kapitel: Wie Fabian seiner langen Rockschöße halber für einen
Sektierer und Tumultuanten gehalten wurde. - Wie Fürst Barsanuph
hinter den Kaminschirm trat und den Generaldirektor der
natürlichen Angelegenheiten kassierte. - Zinnobers Flucht aus
Mosch Terpins Hause. - Wie Mosch Terpin auf einem Sommervogel
ausreiten und Kaiser werden wollte, dann aber zu Bette ging.
Neuntes Kapitel: Verlegenheit eines treuen Kammerdieners. - Wie die
alte Liese eine Rebellion anzettelte und der Minister Zinnober
auf der Flucht ausglitschte. - Auf welche merkwürdige Weise der
Leibarzt des Fürsten Zinnobers jähen Tod erklärte. - Wie Fürst
Barsanuph sich betrübte, Zwiebeln aß, und wie Zinnobers Verlust
unersetzlich blieb.
Letztes Kapitel: Wehmütige Bitten des Autors. - Wie der Professor Mosch Terpin sich beruhigte und
Candida niemals verdrießlich werden konnte. - Wie ein Goldkäfer dem Doktor Prosper Alpanus
etwas ins Ohr summte, dieser Abschied nahm und Balthasar eine glückliche Ehe führte.
Erstes Kapitel
Der kleine Wechselbalg. - Dringende Gefahr einer Pfarrersnase. - Wie
Fürst Paphnutius in seinem Lande die Aufklärung einführte und die Fee
Rosabelverde in ein Fräuleinstift kam.
Unfern eines anmutigen Dorfes, hart am Wege, lag auf dem von der Sonnenglut erhitzten Boden
hingestreckt ein armes zerlumptes Bauerweib. Vom Hunger gequält, vor Durst lechzend, ganz
verschmachtet, war die Unglückliche unter der Last des im Korbe hoch aufgetürmten dürren
Holzes, das sie im Walde unter den Bäumen und Sträuchern mühsam aufgelesen, niedergesunken,
und da sie kaum zu atmen vermochte, glaubte sie nicht anders, als daß sie nun wohl sterben, so sich
aber ihr trostloses Elend auf einmal enden werde. Doch gewann sie bald so viel Kraft, die Stricke,
womit sie den Holzkorb auf ihrem Rücken befestigt, loszunesteln und sich langsam
heraufzuschieben auf einen Grasfleck, der gerade in der Nähe stand. Da brach sie nun aus in laute
Klagen: "Muß," jammerte sie, "muß mich und meinen armen Mann allein denn alle Not und alles
Elend treffen? Sind wir denn nicht im ganzen Dorfe die einzigen, die aller Arbeit, alles sauer
vergessenen Schweißes ungeachtet in steter Armut bleiben und kaum so viel erwerben, um unsern
Hunger zu stillen? - Vor drei Jahren, als mein Mann beim Umgraben unseres Gartens die
Goldstücke in der Erde fand, ja, da glaubten wir, das Glück sei endlich eingekehrt bei uns und nun
kämen die guten Tage; aber was geschah! - Diebe stahlen das Geld, Haus und Scheune brannten uns
über dem Kopfe weg, das Getreide auf dem Acker zerschlug der Hagel, und um das Maß unseres
Herzeleids vollzumachen bis über den Rand, strafte uns der Himmel noch mit diesem kleinen
Wechselbalg, den ich zu Schand' und Spott des ganzen Dorfs gebar. - Zu St.-Laurenztag ist nun der
Junge drittehalb Jahre gewesen und kann auf seinen Spinnenbeinchen nicht stehen, nicht gehen und
knurrt und miaut, statt zu reden, wie eine Katze. Und dabei frißt die unselige Mißgeburt wie der
stärkste Knabe von wenigstens acht Jahren, ohne daß es ihm im mindesten was anschlägt. Gott
erbarme sich über ihn und über uns, daß wir den Jungen großfüttern müssen uns selbst zur Qual und
größerer Not; denn essen und trinken immer mehr und mehr wird der kleine Däumling wohl, aber
arbeiten sein Lebetage nicht! Nein, nein, das ist mehr als ein Mensch aushalten kann auf dieser
Erde! - Ach könnt' ich nur sterben - nur sterben!" Und damit fing die Arme an zu weinen und zu
schluchzen, bis sie endlich, vom Schmerz übermannt, ganz entkräftet einschlief. -
Mit Recht konnte das Weib über den abscheulichen Wechselbalg klagen, den sie vor drittehalb
Jahren geboren. Das, was man auf den ersten Blick sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen
Holz hätte ansehen können, war nämlich ein kaum zwei Spannen hoher, mißgestalteter Junge, der
von dem Korbe, wo er querüber gelegen, heruntergekrochen, sich jetzt knurrend im Grase wälzte.
Der Kopf stak dem Dinge tief zwischen den Schultern, die Stelle des Rückens vertrat ein
kürbisähnlicher Auswuchs, und gleich unter der Brust hingen die haselgertdünnen Beinchen herab,
daß der Junge aussah wie ein gespalteter Rettich. Vom Gesicht konnte ein stumpfes Auge nicht viel
entdecken, schärfer hinblickend, wurde man aber wohl die lange spitze Nase, die aus schwarzen
struppigen Haaren hervorstarrte, und ein Paar kleine, schwarz funkelnde Äuglein gewahr, die,
zumal bei den übrigens ganz alten, eingefurchten Zügen des Gesichts, ein klein Alräunchen
kundzutun schienen. -
Als nun, wie gesagt, das Weib über ihren Gram in tiefen Schlaf gesunken war und ihr Söhnlein sich
dicht an sie herangewälzt hatte, begab es sich, daß das Fräulein von Rosenschön, Dame des
nahegelegenen Stifts, von einem Spaziergange heimkehrend, des Weges daherwandelte. Sie blieb
stehen und wurde, da sie von Natur fromm und mitleidig, bei dem Anblick des Elends, der sich ihr
darbot, sehr gerührt. "O du gerechter Himmel," fing sie an, "wieviel Jammer und Not gibt es doch
auf dieser Erde! - Das unglückliche Weib! - Ich weiß, daß sie kaum das liebe Leben hat, da arbeitet
sie über ihre Kräfte und ist vor Hunger und Kummer hingesunken! - Wie fühle ich jetzt erst recht
empfindlich meine Armut und Ohnmacht! Ach, könnt' ich doch nur helfen, wie ich wollte! - Doch
das, was mir noch übrig blieb, die wenigen Gaben, die das feindselige Verhängnis mir nicht zu
rauben, nicht zu zerstören vermochte, die mir noch zu Gebote stehen, die will ich kräftig und getreu
nützen, um dem Leidwesen zu steuern. Geld, hätte ich auch darüber zu gebieten, würde dir gar
nichts helfen, arme Frau, sondern deinen Zustand vielleicht noch gar verschlimmern. Dir und
deinem Mann, euch beiden ist nun einmal Reichtum nicht beschert, und wem Reichtum nicht
beschert ist, dem verschwinden die Goldstücke aus der Tasche, er weiß selbst nicht wie, er hat
davon nichts als großen Verdruß und wird, je mehr Geld ihm zuströmt, nur desto ärmer. Aber ich
weiß es, mehr als alle Armut, als alle Not, nagt an deinem Herzen, daß du jenes kleine Untierchen
gebarst, das sich wie eine böse unheimliche Last an dich hängt, die du durch das Leben tragen
mußt. - Groß - schön - stark - verständig, ja, das alles kann der Junge nun einmal nicht werden, aber
es ist ihm vielleicht noch auf andere Weise zu helfen." - Damit setzte sich das Fräulein nieder ins
Gras und nahm den Kleinen auf den Schoß. Das böse Alräunchen sträubte und spreizte sich, knurrte
und wollte das Fräulein in den Finger beißen, die sprach aber: "Ruhig, ruhig, kleiner Maikäfer!" und
strich leise und linde mit der flachen Hand ihm über den Kopf von der Stirn herüber bis in den
Nacken. Allmählich glättete sich während des Streichelns das struppige Haar des Kleinen aus, bis es
gescheitelt, an der Stirne fest anliegend, in hübschen weichen Locken hinabwallte auf die hohen
Schultern und den Kürbisrücken. Der Kleine war immer ruhiger geworden und endlich fest
eingeschlafen. Da legte ihn das Fräulein Rosenschön behutsam dicht neben der Mutter hin ins Gras,
besprengte diese mit einem geistigen Wasser aus dem Riechfläschchen, das sie aus der Tasche
gezogen, und entfernte sich dann schnellen Schrittes.
Als die Frau bald darauf erwachte, fühlte sie sich auf wunderbare Weise erquickt und gestärkt. Es
war ihr, als habe sie eine tüchtige Mahlzeit gehalten und einen guten Schluck Wein getrunken. "Ei,"
rief sie aus, "wie ist mir doch in dem bißchen Schlaf so viel Trost, so viel Munterkeit gekommen! -
Aber die Sonne ist schon bald herab hinter den Bergen, nun fort nach Hause!" - Damit wollte sie
den Korb aufpacken, vermißte aber, als sie hineinsah, den Kleinen, der in demselben Augenblick
sich aus dem Grase aufrichtete und weinerlich quäkte. Als nun die Mutter sich nach ihm umschaute,
schlug sie vor Erstaunen die Hände zusammen und rief - "Zaches - Klein Zaches, wer hat dir denn
unterdessen die Haare so schön gekämmt! - Zaches - Klein Zaches, wie hübsch würden dir die
Locken kleiden, wenn du nicht solch ein abscheulich garstiger Junge wärst! - Nun, komm nur,
komm! - hinein in den Korb!" Sie wollte ihn fassen und quer über das Holz legen, da strampelte
aber Klein Zaches mit den Beinen, grinste die Mutter an und miaute sehr vernehmlich: "Ich mag
nicht!" - "Zaches! - Klein Zaches!" schrie die Frau ganz außer sich, "wer hat dich denn unterdessen
reden gelehrt? Nun! wenn du solch schön gekämmte Haare hast, wenn du so artig redest, so wirst
du auch wohl laufen können." Die Frau huckte den Korb auf den Rücken, Klein Zaches hing sich an
ihre Schürze, und so ging es fort nach dem Dorfe.
Sie mußten bei dem Pfarrhause vorüber, da begab es sich, daß der Pfarrer mit seinem jüngsten
Knaben, einem bildschönen goldlockigen Jungen von drei Jahren, in seiner Haustüre stand. Als der
nun die Frau mit dem schweren Holzkorbe und mit Klein Zaches, der an ihrer Schürze baumelte,
daherkommen sah, rief er ihr entgegen: "Guten Abend, Frau Liese, wie geht es Euch - Ihr habt ja
eine gar zu schwere Bürde geladen, Ihr könnt ja kaum mehr fort, kommt her, ruht Euch ein wenig
aus auf dieser Bank vor meiner Türe, meine Magd soll Euch einen frischen Trunk reichen!" - Frau
Liese ließ sich das nicht zweimal sagen, sie setzte ihren Korb ab und wollte eben den Mund öffnen,
um dem ehrwürdigen Herrn all ihren Jammer, ihre Not zu klagen, als Klein Zaches bei der raschen
Wendung der Mutter das Gleichgewicht verlor und dem Pfarrer vor die Füße flog. Der bückte sich
rasch nieder und hob den Kleinen auf, indem er sprach: "Ei, Frau Liese, Frau Liese, was habt Ihr da
für einen bildschönen allerliebsten Knaben! Das ist ja ein wahrer Segen des Himmels, ein solch
wunderbar schönes Kind zu besitzen." Und damit nahm er den Kleinen in die Arme und liebkoste
ihn und schien es gar nicht zu bemerken, daß der unartige Däumling gar häßlich knurrte und mauzte
und den ehrwürdigen Herrn sogar in die Nase beißen wollte. Aber Frau Liese stand ganz verblüfft
vor dem Geistlichen und schaute ihn an mit aufgerissenen starren Augen und wußte gar nicht, was
sie denken sollte. "Ach, lieber Herr Pfarrer," begann sie endlich mit weinerlicher Stimme, "ein
Mann Gottes, wie Sie, treibt doch wohl nicht seinen Spott mit einem armen unglücklichen Weibe,
das der Himmel, mag er selbst wissen warum, mit diesem abscheulichen Wechselbalge gestraft
hat!" "Was spricht," erwiderte der Geistliche sehr ernst, "was spricht Sie da für tolles Zeug, liebe
Frau! von Spott - Wechselbalg - Strafe des Himmels - ich verstehe Sie gar nicht und weiß nur, daß
Sie ganz verblendet sein muß, wenn Sie Ihren hübschen Knaben nicht recht herzlich liebt. - Küsse
mich, artiger kleiner Mann!" - Der Pfarrer herzte den Kleinen, aber Zaches knurrte: "Ich mag
nicht!" und schnappte aufs neue nach des Geistlichen Nase. - "Seht die arge Bestie!" rief Liese
erschrocken; aber in dem Augenblick sprach der Knabe des Pfarrers: "Ach, lieber Vater, du bist so
gut, du tust so schön mit den Kindern, die müssen wohl alle dich recht herzlich lieb haben!" "O hört
doch nur," rief der Pfarrer, indem ihm die Augen vor Freude glänzten, "O hört doch nur, Frau Liese,
den hübschen verständigen Knaben, Euren lieben Zaches, dem Ihr so übelwollt. Ich merk' es schon,
Ihr werdet Euch nimmermehr was aus dem Knaben machen, sei er auch noch so hübsch und
verständig. Hört, Frau Liese, überlaßt mir Euer hoffnungsvolles Kind zur Pflege und Erziehung. Bei
Eurer drückenden Armut ist Euch der Knabe nur eine Last, und mir macht es Freude, ihn zu
erziehen wie meinen eignen Sohn!" -
Liese konnte vor Erstaunen gar nicht zu sich selbst kommen, ein Mal über das andere rief sie:
"Aber, lieber Herr Pfarrer - lieber Herr Pfarrer, ist denn das wirklich Ihr Ernst, daß Sie die kleine
Ungestalt zu sich nehmen und erziehen und mich von der Not befreien wollen, die ich mit dem
Wechselbalg habe?" - Doch, je mehr die Frau die abscheuliche Häßlichkeit ihres Alräunchens dem
Pfarrer vorhielt, desto eifriger behauptete dieser, daß sie in ihrer tollen Verblendung gar nicht
verdiene, vom Himmel mit dem herrlichen Geschenk eines solchen Wunderknaben gesegnet zu
sein, bis er zuletzt ganz zornig mit Klein Zaches auf dem Arm hineinlief in das Haus und die Türe
von innen verriegelte.
Da stand nun Frau Liese wie versteinert vor des Pfarrers Haustüre und wußte gar nicht, was sie von
dem allem denken sollte. "Was um aller Welt willen," sprach sie zu sich selbst, "ist denn mit unserm
würdigen Herrn Pfarrer geschehen, daß er in meinen Klein Zaches so ganz und gar vernarrt ist und
den einfältigen Knirps für einen hübschen, verständigen Knaben hält? - Nun! helfe Gott dem lieben
Herrn, er hat mir die Last von den Schultern genommen und sie sich selbst aufgeladen, mag er nun
zusehen, wie er sie trägt! - Hei! wie leicht geworden ist nun der Holzkorb, da Klein Zaches nicht
mehr darauf sitzt und mit ihm die schwerste Sorge!" -
Damit schritt Frau Liese, den Holzkorb auf dem Rücken, lustig und guter Dinge fort ihres Weges! -
-
Wollte ich auch zurzeit noch gänzlich darüber schweigen, du würdest, günstiger Leser, dennoch
wohl ahnen, daß es mit dem Stiftsfräulein von Rosenschön, oder wie sie sich sonst nannte,
Rosengrünschön, eine ganz besondere Bewandtnis haben müsse. Denn nichts anders war es wohl,
als die geheimnisvolle Wirkung ihres Kopfstreichelns und Haarausglättens, daß Klein Zaches von
dem gutmütigen Pfarrer für ein schönes und kluges Kind angesehn und gleich wie sein eignes
aufgenommen wurde. Du könntest, lieber Leser, aber doch, trotz deines vortrefflichen Scharfsinns,
in falsche Vermutungen geraten oder gar zum großen Nachteil der Geschichte viele Blätter
überschlagen, um nur gleich mehr von dem mystischen Stiftsfräulein zu erfahren; besser ist es daher
wohl, ich erzähle dir gleich alles, was ich selbst von der würdigen Dame weiß.
Fräulein von Rosenschön war von großer Gestalt, edlem majestätischen Wuchs und etwas stolzem,
gebietendem Wesen. Ihr Gesicht, mußte man es gleich vollendet schön nennen, machte, zumal wenn
sie wie gewöhnlich in starrem Ernst vor sich hinschaute, einen seltsamen, beinahe unheimlichen
Eindruck, was vorzüglich einem ganz besondern fremden Zuge zwischen den Augenbrauen
zuzuschreiben, von dem man durchaus nicht recht wußte, ob ein Stiftsfräulein dergleichen wirklich
auf der Stirne tragen könne. Dabei lag aber auch oft, vorzüglich zur Rosenzeit bei heiterm schönen
Wetter, so viel Huld und Anmut in ihrem Blick, daß jeder sich von süßem unwiderstehlichen Zauber
befangen fühlte. Als ich die Gnädige zum ersten- und letztenmal zu schauen das Vergnügen hatte,
war sie dem Ansehen nach eine Frau in der höchsten, vollendetsten Blüte ihrer Jahre, auf der
höchsten Spitze des Wendepunktes, und ich meinte, daß mir großes Glück beschieden, die Dame
noch eben auf dieser Spitze zu erblicken und über ihre wunderbare Schönheit gewissermaßen zu
erschrecken, welches sich dann sehr bald nicht mehr würde zutragen können. Ich war im Irrtum.
Die ältesten Leute im Dorf versicherten, daß sie das gnädige Fräulein gekannt hätten schon so lange
als sie dächten, und daß die Dame niemals anders ausgesehen habe, nicht älter, nicht jünger, nicht
häßlicher, nicht hübscher als eben jetzt. Die Zeit schien also keine Macht zu haben über sie, und
schon dieses konnte manchem verwunderlich vorkommen. Aber noch manches andere trat hinzu,
worüber sich jeder, überlegte er es recht ernstlich, ebensosehr wundern, ja zuletzt aus der
Verwunderung, in die er verstrickt, gar nicht herauskommen mußte. Fürs erste offenbarte sich ganz
deutlich bei dem Fräulein die Verwandtschaft mit den Blumen, deren Namen sie trug. Denn nicht
allein, daß kein Mensch auf Erden solche herrliche tausendblättrige Rosen zu ziehen vermochte, als
sie, so sprießten auch aus dem schlechtesten dürresten Dorn, den sie in die Erde steckte, jene
Blumen in der höchsten Fülle und Pracht hervor. Dann war es gewiß, daß sie auf einsamen
Spaziergängen im Walde laute Gespräche führte mit wunderbaren Stimmen, die aus den Bäumen,
aus den Büschen, aus den Quellen und Bächen zu tönen schienen. Ja, ein junger Jägersmann hatte
sie belauscht, wie sie einmal mitten im dicksten Gehölz stand und seltsame Vögel mit buntem
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