Böll Heinrich - Wanderer, kommst du nach Spa.pdf

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Wanderer kommst du nach Spa ...
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Das Buch
In seinem ›Bekenntnis zur Trümmerliteratur‹ sagt Heinrich Böll, es sei
Aufgabe des Schriftstellers, daran zu erinnern, »daß die Zerstörungen
in unserer Welt nicht nur äußerer Art sind und nicht so geringfügiger
Natur, daß man sich anmaßen kann, sie in wenigen Jahren zu heilen«.
Für ihn war es eine Frage der Moral, Krieg und Nachkriegszeit so zu
beschreiben, wie sie wirklich waren. Seine frühen Erzählungen
gehören zum Besten der deutschen Nachkriegsliteratur. Böll verliert
sich nicht in vordergründigem Realismus. Sein Blick dringt in die
Tiefen und erfaßt in wenigen, scheinbar nebensächlichen Details den
Hintergrund jener Jahre, die heute mehr verdrängt als bewältigt sind.
Er schrieb im Namen einer verführten und geschundenen Generation,
im Namen der Humanität. So fand das Schicksal jener Jugend, die von
der Schulbank in das Grauen des Krieges gestoßen wurde, in der
unbestechlichen, prägnanten Darstellung der Titelgeschichte seinen
gültigen Ausdruck.
Der Autor
Heinrich Böll, am 21. Dezember 1917 in Köln geboren, war nach dem
Abitur Lehrling im Buchhandel. Im Krieg sechs Jahre Soldat. Danach
Studium der Germanistik. Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen,
Romane, Hör- und Fernsehspiele, Theaterstücke und war auch als
Übersetzer aus dem Englischen tätig. 1972 erhielt Böll den Nobelpreis
für Literatur. Er starb am 16. Juli 1985 in Langenbroich/Eifel.
Heinrich Böll
Wanderer, kommst du nach Spa …
Erzählungen
1. Auflage September 1967
27. Auflage September 1985: 541. bis 555. Tausend
dtv, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Entnommen aus: Heinrich Böll, 1947 bis 1951,
Gertraud Middelhauve Verlag, Köln 1950
(c)1983 Lamuv Verlag GmbH, Bornheim-Merten
Umschlaggestaltung: Celestino Piatti
Gesamtherstellung: C. H. Beck'sche Buchdruckerei, Nördlingen
Printed in Germany
ISBN 3-423-00457-1
Inhalt
Über die Brücke (1950) .................................................................5
Kumpel mit dem langen Haar (1947) ............................................10
Der Mann mit den Messer (1948) ..................................................15
Steh auf, steh doch auf (1950) ......................................................26
Damals in Odessa (1950) .............................................................29
Wanderer, kommst du nach Spa … (1950) ....................................34
Trunk in Petöcki (1950) ..............................................................43
Unsere gute, alte Renée (1950) ....................................................47
Auch Kinder sind Zivilisten (1950) ..............................................54
So ein Rummel (1950) ................................................................57
An der Brücke (1950) .................................................................61
Abschied (1950) .........................................................................64
Die Botschaft (1947) ...................................................................67
Aufenthalt in X (1950) ................................................................72
Wiedersehen mit Drüng (1950) ....................................................81
Die Essenholer (1950) .................................................................91
Wiedersehen in der Allee (1948) ..................................................96
In der Finsternis (1950) ............................................................. 104
Wir Besenbinder (1950) ............................................................ 112
Mein teures Bein (1950) ............................................................ 117
Lohengrins Tod (1950) .............................................................. 120
Geschäft ist Geschäft (1950) ...................................................... 130
An der Angel (1950) ................................................................. 135
Mein trauriges Gesicht (1950) ................................................... 143
Kerzen für Maria (1950) ............................................................ 150
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Über die Brücke
Die Geschichte, die ich Ihnen erzählen will, hat eigentlich gar keinen
Inhalt, vielleicht ist es gar keine Geschichte, aber ich muß sie Ihnen
erzählen. Vor zehn Jahren spielte sich eine Art Vorgeschichte ab, und
vor wenigen Tagen rundete sich das Bild …
Denn vor wenigen Tagen fuhren wir über jene Brücke, die einst
stark und breit war, eisern wie die Brust Bismarcks auf zahlreichen
Denkmälern, unerschütterlich wie die Dienstvorschriften; es war eine
breite, viergleisige Brücke über den Rhein und auf viele schwere
Strompfeiler gestützt, und damals fuhr ich dreimal wöchentlich mit
demselben Zug darüber: montags, mittwochs und samstags. Ich war
damals Angestellter beim Reichsjagdgebrauchshundverband; eine
bescheidene Stellung, so eine Art Aktenschlepper. Ich verstand von
Hunden natürlich nichts, ich bin ein ungebildeter Mensch. Ich fuhr
dreimal in der Woche von Königstadt, wo unser Hauptbüro war, nach
Gründerheim, wo wir eine Nebenstelle hatten. Dort holte ich
dringende Korrespondenz, Gelder und »schwebende Fälle«. Letztere
waren in einer großen gelben Mappe. Niemals erfuhr ich, was in der
Mappe drin war, ich war ja nur Bote …
Morgens ging ich gleich von zu Hause zum Bahnhof und fuhr mit
dem Achtuhrzug nach Gründerheim. Die Fahrt dauerte dreiviertel
Stunden. Ich hatte auch damals Angst, über die Brücke zu fahren. Alle
technischen Versicherungen informierter Bekannter über die vielfache
Tragfähigkeit der Brücke nützten mir nichts, ich hatte einfach Angst:
die bloße Verbindung von Eisenbahn und Brücke verursachte mir
Angst; ich bin ehrlich genug, es zu gestehen. Der Rhein ist sehr breit
bei uns. Mit einem leisen Bangen im Herzen nahm ich jedesmal das
leise Schwanken der Brücke wahr, dieses schauerliche Wippen
sechshundert Meter lang; dann kam endlich das vertrauenerweckende
dumpfere Rattern, wenn wir wieder den Bahndamm erreicht hatten,
und dann kamen Schrebergärten, viele Schrebergärten – und endlich,
kurz vor Kahlenkatten, ein Haus: an dieses Haus klammerte ich mich
gleichsam mit meinen Blicken. Dieses Haus stand auf der Erde; meine
Augen stürzten sich auf das Haus. Das Haus hatte einen rötlichen
Bewurf, war sehr sauber, die Umrandungen der Fenster und alle
Sockel waren mit dunkelbrauner Farbe abgesetzt. Zwei Stockwerke,
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