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Das Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie
Johann Wolfgang von Goethe, Das Märchen
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Das Märchen
von der grünen Schlange
von der grünen Schlange
und der schönen Lilie
und der schönen Lilie
Johann Wolfgang von Goethe
An dem großen Flusse, der eben von einem starken Regen geschwollen und übergetreten war,
lag in seiner kleinen Hütte, müde von den Anstrengungen des Tages, der alte Fährmann und
schlief. Mitten in der Nacht weckten ihn einige laute Stimmen; er hörte, daß Reisende
übergesetzt sein wollten.
Als er vor die Tür hinaus trat, sah er zwei große Irrlichter über dem angebundenen Kahne
schweben, die ihm versicherten, daß sie große Eile hätten und schon an jenem Ufer zu sein
wünschten. Der Alte säumte nicht, stieß ab und fuhr, mit seiner gewöhnlichen
Geschicklichkeit, quer über den Strom, indes die Fremden in einer unbekannten, sehr
behenden Sprache gegeneinander zischten und mitunter in ein lautes Gelächter ausbrachen,
indem sie bald auf den Rändern und Bänken, bald auf dem Boden des Kahns hin- und
widerhüpften.
Der Kahn schwankt! rief der Alte; und wenn ihr so unruhig seid, kann er umschlagen; setzt
euch, ihr Lichter!
Sie brachen über diese Zumutung in ein großes Gelächter aus, verspotteten den alten und
waren noch unruhiger als vorher. Er trug ihre Unarten mit Geduld, und stieß bald am
jenseitigen Ufer an.
Hier ist für Eure Mühe! riefen die Reisenden, und es fielen, indem sie sich schüttelten, viele
glänzende Goldstücke in den feuchten Kahn. Ums Himmels willen, was macht ihr? rief der
Alte. Ihr bringt mich ins größte Unglück! Wäre ein Goldstück ins Wasser gefallen, so würde
der Strom, der dies Metall nicht leiden kann, sich in entsetzliche Wellen erhoben, das Schiff
und mich verschlungen haben, und wer weiß, wie es euch gegangen sein würde! Nehmt euer
Geld wieder zu euch!
Wir können nichts wieder zu uns nehmen, was wir abgeschüttelt haben, versetzten jene.
So macht ihr mir noch die Mühe, sagte der Alte, indem er sich bückte und die Goldstücke in
seine Mütze las, daß ich sie zusammensuchen, ans Land tragen und vergraben muß.
Die Irrlichter waren aus dem Kahne gesprungen, und der Alte rief: Wo bleibt nun mein
Lohn?
Wer kein Gold nimmt, mag umsonst arbeiten! riefen die Irrlichter. - Ihr müßt wissen, daß
man sich nur mit den Früchten der Erde bezahlen kann. - Mit Früchten der Erde? Wir
verschmähen sie, und haben sie nie genossen. - Und doch kann ich euch nicht loslassen, bis
ihr mir versprecht, daß ihr mir drei Kohlhäupter, drei Artischocken und drei große Zwiebeln
liefert.
Die Irrlichter wollten scherzend davonschlüpfen, allein sie fühlten sich auf eine
unbegreifliche Weise an den Boden gefesselt; es war die unangenehmste Empfindung die sie
jemals gehabt hatten. Sie versprachen seine Forderung nächstens zu befriedigen; er entließ
sie und stieß ab. Er war schon weit hinweg als sie ihm nachriefen: Alter! hört Alter! wir haben
das Wichtigste vergessen! Er war fort und hörte sie nicht. Er hatte sich an derselben Seite
den Fluß hinab treiben lassen, wo er in einer gebirgigen Gegend, die das Wasser niemals
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von der grünen Schlange
Johann Wolfgang von Goethe, Das Märchen
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erreichen konnte, das gefährliche Gold verscharren wollte. Dort fand er zwischen hohen
Felsen eine ungeheure Kluft, schüttete es hinein und fuhr nach seiner Hütte zurück.
In dieser Kluft befand sich die schöne grüne Schlange, die durch die herabklingende Münze
aus ihrem Schlaf geweckt wurde. Sie ersah die kaum die leuchtenden Scheiben, als sie solche
auf der Stelle mit großer Begierde verschlang, und alle Stücke, die sich in dem Gebüsch uns
zwischen den Felsritzen zerstreut hatten, sorgfältig aufsuchte.
Kaum waren sie verschlungen, so fühlte sie mit der angenehmsten Empfindung das Gold in
ihren Eingeweiden schmelzen und sich durch ihren ganzen Körper ausbreiten, und zur
größten Freude bemerkte sie, daß sie durchsichtig und leuchtend geworden war. Lange hatte
man ihr schon versichert, daß diese Erscheinung möglich sei; weil sie aber zweifelhaft war, ob
dieses Licht lange dauern könne, so trieb sie die Neugierde und der Wunsch, sich für die
Zukunft sicherzustellen, aus dem Felsen heraus, um zu untersuchen, wer das schöne Geld
hereingestreut haben könnte. Sie fand niemanden. Desto angenehmer war es ihr, sich selbst,
da sie zwischen Kräutern und Gesträuchen hinkroch, und ihr anmutiges Licht, das sie durch
das frische Grün verbreitete, zu bewundern. Alle Blätter schienen von Smaragd, alle Blumen
auf das herrlichste verklärt. Vergebens durchstrich sie die einsame Wildnis; desto mehr aber
wuchs ihre Hoffnung, als sie auf die Fläche kam und von weitem einen Glanz, der dem ihrigen
ähnlich war, erblickte. Find' ich doch endlich meinesgleichen! rief sie aus und eilte nach der
Gegend zu. Sie achtete nicht die Beschwerlichkeit durch Sumpf und Rohr zu kriechen; denn
ob sie gleich auf trockenen Bergwiesen, in hohen Felsritzen am liebsten lebte, gewürzhafte
Kräuter gerne genoß und mit zartem Tau und frischem Quellwasser ihren Durst gewöhnlich
stillte, so hätte sie doch des lieben Goldes willen und in Hoffnung des herrlichen Lichtes alles
unternommen, was man ihr auferlegte.
Sehr ermüdet gelangte sie endlich zu einem feuchten Ried, wo unsere beiden Irrlichter hin-
und widerspiegelten. Sie schoß auf sie los, begrüßte sie, und freute sich so angenehme Herren
von ihrer Verwandtschaft zu finden. Die Lichter strichen an ihr her, hüpften über sie weg
und lachten nach ihrer Weise. Frau Muhme, sagten sie, wenn Sie schon von der horizontalen
Linie sind, so hat das doch nichts zu bedeuten; freilich sind wir nur von seiten des Scheins
verwandt, denn sehen sie nur (hier machten beide Flammen indem sie ihre ganze Breite
aufopferten, sich so lang und spitz als möglich) wie schön uns Herren von der vertikalen
Linie diese schlanke Länge kleidet; nehmen Sie’s uns nicht übel, meine Freundin, welche
Familie kann sich des rühmen? So lang es Irrlichter gibt, hat noch keines weder gesessen
noch gelegen.
Die Schlange fühlte sich in der Gegenwart dieser Verwandten sehr unbehaglich, denn sie
mochte den Kopf so hoch heben als sie wollte, so fühlte die doch, daß sie ihn wieder zur Erde
biegen mußte, um von der Stelle zu kommen, und hatte sie sich vorher im dunklen Hain
außerordentlich wohlgefallen, so schien ihr Glanz in Gegenwart dieser Vettern sich jeden
Augenblick zu vermindern, ja sie fürchtete, daß er endlich gar verlöschen werde. In dieser
Verlegenheit fragte sie eilig, ob die Herren ihr nicht etwa Nachricht geben könnten, wo das
glänzende Gold herkomme, das vor kurzem in die Felskluft gefallen sei; sie vermute, es sei ein
Goldregen, der unmittelbar vom Himmel träufle. Die Irrlichter lachten und schüttelten sich,
und es sprangen eine große Menge Goldstücke um sie herum. Die Schlange fuhr schnell
danach sie zu verschlingen. Laßt es Euch schmecken, Frau Muhme, sagten die artigen Herren,
wir können noch mit mehr aufwarten. Sie schüttelten sich noch einige Male mit großer
Behendigkeit, so daß die Schlange kaum die kostbare Speise schnell genug hinunterbringen
konnte. Sichtlich fing ihr Schein an zu wachsen, und sie leuchtete wirklich auf’s herrlichste,
indes die Irrlichter ziemlich mager und klein geworden waren, ohne jedoch von ihrer guten
Laune das mindeste zu verlieren.
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Ich bin euch auf ewig verbunden, sagte die Schlange, nachdem sie von ihrer Mahlzeit wieder
zu Atem gekommen war, fordert von mir was ihr wollt; was in meinen Kräften ist, will ich
euch leisten.
Recht schön! riefen die Irrlichter, sage, wo wohnt die schöne Lilie? Führ uns so schnell als
möglich zum Palaste und Garten der schönen Lilie, wir sterben vor Ungeduld, uns ihr zu
Füßen zu werfen.
Diesen Dienst, versetzte die Schlange mit einem tiefen Seufzer, kann ich euch sogleich nicht
leisten. Die schöne Lilie wohnt leider jenseits des Wassers. - Jenseits des Wassers! Und wir
lassen uns in dieser stürmischen Nacht übersetzen! Wie grausam ist der Fluß, der uns nun
scheidet! Sollte es nicht möglich sein, des Alten wieder zu errufen?
Sie würden sich vergebens bemühen, versetzte die Schlange, denn wenn Sie ihn ach selbst an
dem diesseitigen Ufer anträfen, so würde er Sie nicht einnehmen; er darf jedermann herüber,
niemand hinüber bringen. - Da haben wir uns schön gebettet! Gibt es denn kein anderes
Mittel, über das Wasser zu kommen? - Noch einige, nur nicht in diesem Augenblick. Ich selbst
kann die Herren übersetzen, aber erst in der Mittagsstunde . - Das ist eine Zeit, in der wir
nicht gerne reisen. - So können Sie abends auf dem Schatten des Riesen hinüberfahren. - Wie
geht das zu? - Der große Riese, der nicht weit von hier wohnt, vermag mit seinem Körper
nichts; seine Hände heben keinen Strohhalm, seine Schultern würden kein Reisblatt tragen;
aber sein Schatten vermag viel, ja alles. Deswegen ist er beim Aufgang und Untergang der
Sonne am mächtigsten, und so darf man sich abends nur auf den Nacken seines Schattens
setzen, der Riese geht alsdann sachte gegen das Ufer zu und der Schatten bringt den
Wanderer über das Wasser hinüber. Wollen Sie aber um Mittagszeit sich an jener Waldecke
einfinden, wo das Gebüsch dicht ans Ufer stößt, so kann ich Sie übersetzen und der schönen
Lilie vorstellen; scheuen Sie hingegen die Mittagshitze, so dürfen Sie nur gegen Abend in
jener Felsenbucht den Riesen aufsuchen, der sich gewiß recht gefällig zeigen wird.
Mit einer leichten Verbeugung entfernten sich die jungen Herren, und die Schlange war
zufrieden von ihnen loszukommen, teils um sich in ihrem eignen Lichte zu erfreuen, teils
eine Neugierde zu befriedigen, von der die schon lange auf eine sonderbare Weise gequält
wird.
In den Felsklüften, in denen sie oft hin- und widerkroch, hatte sie an einem Orte eine
seltsame Entdeckung gemacht. Denn ob sie gleich durch diese Abgründe ohne ein Licht zu
kriechen genötigt war, so konnte sie doch durch Gefühl die Gegenstände recht wohl
unterscheiden. Nur unregelmäßige Naturprodukte war sie gewohnt überall zu finden; bald
schlang sie sich zwischen den Zacken großer Kristalle hindurch, bald fühlte sie die Haken und
Haare des gediegenen Silbers, und brachte ein und den anderen Edelstein mit ans Licht
hervor. Doch hatte sie zu ihrer großen Verwunderung in einem ringsum verschlossenen
Felsen Gegenstände gefühlt, welche die bildende Hand des Menschen verrieten. Glatte Wände,
an denen sie nicht aufsteigen konnte, scharfe regelmäßige Kanten, wohlgebildete Säulen und,
was ihr am sonderbarsten vorkam, menschliche Figuren, um die sie sich mehrmals
geschlungen hatte, und die für Erz oder äußerst polierten Marmor halten mußte. Alle diese
Erfahrungen wünschte sie noch zuletzt durch den Sinn des Auges zusammenzufassen und
das, was sie nur mutmaßte, zu bestätigen. Sie glaubte sich nun fähig durch ihr eigenes Licht
dieses wunderbare unterirdische Gewölbe zu erleuchten und hoffe auf einmal mit diesen
sonderbaren Gegenständen völlig bekannt zu werden. Sie eilte und fand auf dem gewohnten
Weg bald die Ritze, durch sie in das Heiligtum zu schleichen pflegte.
Als sie sich am Orte befand, sah sie sich mit Neugier um, und obgleich ihr Schein alle
Gegenstände der Rotunde nicht erleuchten konnte, so wurden ihr doch die nächsten deutlich
genug. Mit Erstaunen und Ehrfurcht sah sie in eine glänzende Nische hinauf, in welcher das
Bildnis eines ehrwürdigen Königs in lauterem Golde aufgestellt war. Dem Maß nach war die
Bildsäule über Menschengröße, der Gestalt nach aber das Bildnis eher eines kleinen als eines
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großen Mannes. Sein wohlgebildeter Körper war mit einem einfachen Mantel umgeben, und
ein Eichenkranz hielt seine Haare zusammen.
Kaum hatte die Schlange dieses ehrwürdige Bildnis angeblickt, als der König zu reden anfing
und fragte: Wo kommst du her? - Aus den Klüften, versetzte die Schlange, in denen das Gold
wohnt. - Was ist herrlicher als Gold? fragte der König. - Das Licht, antwortete die Schlange. -
Was ist erquicklicher als Licht? fragte jener. - Das Gespräch, antwortete diese.
Sie hatte unter diesen Reden beiseite geschielt und in der nächsten Nische ein anderes
herrliches Bild gesehen. In derselben saß ein silberner König, von langer und eher
schmächtiger Gestalt; sein Körper war mit einem verzierten Gewande überdeckt, Krone,
Gürtel und Zepter mit Edelsteinen geschmückt; er hatte die Heiterkeit des Stolzes in seinem
Angesichte und schien eben reden zu wollen, als an der normalen Wand eine Ader, die
dunkelfarbig hindurchlief, auf einmal hell ward und ein angenehmes Licht durch den ganzen
Tempel verbreitete. Bei diesem Licht sah die Schlange den dritten König, der von Erz in
mächtiger Gestalt dasaß, sich auf seine Keule lehnte, mit einem Lorbeerkranz geschmückt
war, und eher einem Felsen als einem Menschen glich. Sie wollte sich nach dem vierten
umsehen, der in der größten Entfernung vor ihr stand, aber die Mauer öffnete sich, indem
die erleuchtete Ader wie ein Blitz zuckte und verschwand.
Ein Mann von mittlere Größe, der heraustrat, zog die Aufmerksamkeit der Schlange auf sich.
Er war als ein Bauer gekleidet und trug eine kleine Lampe in der Hand, in deren stille Flamme
man gerne hineinsah, und die auf eine wundersame Weise, ohne auch nur einen Schatten zu
werfen, den ganzen Dom erhellte.
Warum kommst du, da wir Licht haben? fragte der goldene König. -Ihr wißt, daß ich das
Dunkle nicht erleuchten darf. - Endigt sich mein Reich? fragte der silberne König. - Spät oder
nie, versetzte der Alte.
Mit einer starken Stimme fing der eheren König an zu fragen: Wann werde ich aufstehn? -
Bald, versetzte der Alte. - Mit wem soll ich mich verbinden? fragte der König. - Mit deinen
älteren Brüdern, sagte der Alte. - Was wird aus dem jüngsten werden? fragte der König. - Er
wird sich setzen, sagte der Alte.
Ich bin nicht müde, rief der vierte König mit einer rauhen stotternden Stimme.
Die Schlange war, indessen jene redeten, in dem Tempel leise herumgeschlichen, hatte alles
betrachtet und besah nunmehr den vierten König in der Nähe. Er stand an eine Säule
gelehnt, und seine ansehnliche Gestalt war eher schwerfällig als schön. Allein das Metall,
woraus er gegossen war, konnte man nicht leicht unterscheiden. Genau genommen war eine
Mischung der drei Metalle, aus denen seine Brüder gebildet waren. Aber beim Gusse schienen
diese Materien nicht recht zusammengeschmolzen zu sein; goldne und silberne Adern liefen
unregelmäßig durch eine eherne Masse hindurch, und gaben dem ganzen ein unangenehmes
Ansehn.
Indessen sagte der goldne König zum Manne: Wie viel Geheimnis weißt du? - Drei, versetzte
der Alte. - Welches ist das wichtigste? fragte der silberne König. - Das offenbare, versetzte
der Alte. - Willst du es auch uns eröffnen? fragte der eherne. - Sobald ich das vierte weiß,
sagte der Alte. - Was kümmerts’s mich! murmelte der zusammengesetzte König vor sich hin.
Ich weiß das vierte, sagte die Schlange, näherte sich dem Alten und zischte ihm etwas ins
Ohr. - Es ist an der Zeit! rief der Alte mit gewaltiger Stimme. Der Tempel schallte wider, die
metallenen Bildsäulen klangen, und in dem Augenblicke versank der Alte nach Westen und
die Schlange nach Osten, und jedes durchstrich mit großer Schnelle die Klüfte der Felsen.
Alle Gänge, durch die der Alte hindurch wandelte, füllten sich hinter ihm sogleich mit Gold,
denn seine Lampe hatte die wunderbare Eigenschaft, alle Steine in Gold, alles Holz in Silber,
tote Tiere in Edelsteine zu verwandeln, und alle Metalle zu vernichten; diese Wirkung zu
äußern mußte sie aber ganz allein leuchten. Wenn ein ander Licht neben ihr war, wirkte sie
nur einen schönen Schein, und alles Lebendigkeit ward immer durch sie erquickt.
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Der Alte trat in seine Hütte, die an dem Berge angebauet war, und fand sein Weib in der
größten Betrübnis. Sie saß am Feuer und weinte und konnte sich nicht zufrieden geben. Wie
unglücklich bin ich, rief sie aus, wollt’ ich dich heute doch nicht fortlassen! - Was gibt es
denn? fragte der Alte ganz ruhig.
Kaum bist du weg, sagte sie mit Schluchzen, so kommen zwei ungestüme Wanderer vor die
Türe; unvorsichtig lasse ich sie herein, es schienen ein paar artige rechtliche Leute; sie waren
in leichte Flammen gekleidet, man hätte sie für Irrlichter halten können: kaum sind sie im
Hause, so fangen sie an, auf eine unverschämte Weise, mit Worten zu schmeicheln, und
werden so zudringlich, daß ich mich schäme daran zu denken.
Nun, versetzte der Mann lächelnd, die Herren haben wohl gescherzt; denn deinem Alter nach
sollten sie es wohl bei der allgemeinen Höflichkeit gelassen haben.
Was Alter! rief die Frau; soll ich immer von meinem Alter hören? Wie alt bin ich denn?
Gemeine Höflichkeit! Ich weiß doch was ich weiß. Und sieh dich nur um, wie die Wände
aussehen; sieh nur die alten Steine, die ich seit hundert Jahren nicht mehr gesehen habe;
alles Gold haben sie heruntergeleckt, du glaubst nicht mit welcher Behendigkeit, und sie
versicherten immer, es schmecke viel besser als gemeines Gold. Als die Wände rein gefegt
hatten, schienen sie sehr guten Mutes, und gewiß, sie waren auch in kurzer Zeit sehr viel
größer, breiter und glänzender geworden. Nun fingen sie ihren Mutwillen von neuem an,
streichelten mich wieder, hießen mich ihre Königin, schüttelten sich und eine Menge
Goldstücke sprangen herum; du siehst noch, wie sie dort unter der Bank leuchten; aber welch
ein Unglück! Unser Mops fraß einige davon und sieh, da liegt er am Kamine tot; das arme
Tier! Ich kann mich nicht zufrieden geben. Ich sah es erst, da sie fort waren, denn sonst
hätte ich nicht versprochen, ihre Schuld beim Fährmann abzutragen.- Was sind sie schuldig?
fragte der Alte. - Drei Kohlhäupter, sagte die Frau, drei Artischocken und drei Zwiebeln:
wenn es Tag wird, habe ich versprochen, sie an den Fluß zu tragen.
Du kannst ihnen den Gefallen tun, sagte der Alte; denn sie werden uns gelegentlich auch
wieder dienen.
Ob sie uns dienen werden, weiß ich nicht, aber versprochen und beteuert haben sie es.
Indessen war das Feuer im Kamine zusammengebrannt, der Alte überzog die Kohlen mit
vieler Asche, schaffte die leuchtenden Goldstücke beiseite, und nun leuchtete sein Lämpchen
wieder allein, in dem schönen Glanze, die Mauern überzogen sich mit Gold und der Mops war
zu dem schönsten Onyx geworden, den man sich denken konnte. Die Abwechslung der
braunen und schwarzen Farbe des kostbaren Gesteins machte ihn zum seltensten
Kunstwerke.
Nimm deinen Korb, sagte der Alte, und stelle den Onyx hinein; alsdann nimm die drei
Kohlhäupter, die drei Artischocken und die drei Zwiebeln, lege sie umher und trage sie zum
Flusse. Gegen Mittag laß dich von der Schlange übersetzen und besuche die schöne Lilie,
bring ihr den Onyx, sie wird ihn durch ihre Berührung lebendig machen, wie sie alles
Lebendige durch ihre Berührung tötet; sie wird einen treuen Gefährten an ihm haben. Sage
ihr, sie solle nicht trauern, ihre Erlösung sei nahe, das größte Unglück könne sie als das
größte Glück betrachten, denn es sei an der Zeit.
Die Alte packte ihren Korb und machte sich, als es Tag war, auf den weg. Die aufgehende
Sonne schien hell über den Fluß herüber, der in der Ferne glänzte; das Weib ging mit
langsamem Schritt, denn der Korb drückte sie aufs Haupt, und es war doch nicht der Onyx,
der so lastete. Alles Tote was sie trug fühlte sie nicht, vielmehr hob sich alsdann der Korb in
die Höhe und schwebte über ihrem Haupte. Aber ein frisches Gemüs oder ein kleines
lebendiges Tier zu tragen, war ihr äußerst beschwerlich. Verdrießlich war sie eine Zeitlang
hingegangen, als sie auf einmal, erschreckt, stille stand; denn sie hätte beinahe auf den
Schatten des Riesen getreten, der sich über die Ebene bis zu ihr hin erstreckte. Und nun sah
sie erst den gewaltigen Riesen, der sich im Fluß gebadet hatte, aus dem Wasser
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