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DANKSAGUNG
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DANKSAGUNG
Dank dem Kometen Hyakutake, der nach zwanzigtausend Jahren Umlaufzeit, aus ewigen Sternenregionen
wiederkommend, im Frühjahr 1996 den Nachthimmel erleuchtete, sein Licht auf die Wurzelgründe warf und mir
den mächtigen Mammutelefanten in Erinnerung rief, der mir einst im Schneegestöber gegenübergestanden war.
Dank an Arthur Hermes, der wie ein alter Druide im Einklang mit dem Wald lebte und mich mit seiner
Naturweisheit aus dem Elfenbeinturm lockte. Dank an den Cheyenne-Medizinmann Tallbull, von dem ich lernte,
dass der Mensch nicht nur über, sondern auch mit den Pflanzen reden kann. Dank an „Trash“, den Berserker Jeff
Dahl aus Wyoming, der durch ein Zeitloch ins 20./21. Jahrhundert herabgestürzt ist und hier sein Pferd für eine
Harley eintauschen musste: Von ihm lernte ich viel über die keltische Seele. Dank an Eugen Jung und Janos von
Morzsinay, die mich überzeugten, dass es wert ist, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben. Dank schließlich dem
inspirierten Verleger Urs Hunziker und Dank auch der Lektorin Monika Schmidhofer für ihre Sorgfalt, ebenso
Adrian Pabst, Martin Tiefentaler, den Berserkern der »Akademie der Neuen Berserker« und den Kelten von
Guggisberg. Dank allen, denen Dank gebührt.
»Wie Merlin Möcht' ich durch die Wälder ziehn; Was die Stürme wehen, Was die Donner rollen, Und die Blitze wollen, Was die
Bäume sprechen, Wenn sie brechen, möcht' ich wie Merlin verstehen.«
NIKOLAUS LENAU, Wanderlieder
AUCH WIR WAREN EINMAL INDIANER
Die in ein sauberes, aber zu enges Dirndl geschnürte Wirtin der kleinen bayrischen Pension servierte Brötchen,
Marmelade und Kaffee. Manitonquat, der Hüter der Überlieferungen des Stammes der Wampanoag 1, ein hagerer,
hoch gewachsener Indianer mit langem schneeweißem Haar, saß mir am Frühstückstisch gegenüber. Wir waren
beide zu dem Medizinradtreffen des »Bärenstammes« in den Schwangau eingeladen worden. Der alte Indianer
blickte mich entgeistert an und schüttelte den Kopf.
»Das hält man doch nicht für möglich! Diese Weißen wissen nichts, aber auch gar nichts! Sie kennen weder die alte
Großmutter, die tief unter der Erde die Geister der Tiere und. Pflanzen hütet, noch die Kraft des heiligen Beifußes.
Sie können sich kaum nach den vier Himmelsrichtungen orientieren; mit den Tieren und Geistern können sie nicht
reden. Wie haben sie überhaupt überlebt?«
Nun, diese Frage hatte ich mir auch schon gestellt, vorfahren schon. So wie es meine Lehrer in der Highschool und
im College dargestellt hatten, sind wir, wie aus dem Ei gepellt, praktisch schon als Zivilisierte auf der Bühne der
Menschheitsgeschichte aufgetreten. Vor rund 10 000 Jahren hatten »wir« irgendwo im Nahen Osten die Wildheit
abgelegt, wurden sesshaft, errichteten die ersten Städte, bauten Bewässerungskanäle, erfanden die Schrift. Damals
offenbarte sich uns auch der wahre monotheistische Gott und etablierte einen ethischen Sittenkodex. Triebe wurden
gezügelt, sublimiert; die Triebenergie diente nun dem zivilisatorischen Fortschritt. Die griechischen »Väter« der
Wissenschaften ragen als Lichtpersönlichkeiten heraus. Hippokrates erfand die vernünftige Heilkunde, die sich in
der Antike weiterentwickelte, später von christlichen Mönchen als kostbares Gut gehütet wurde und nun in der
Neuzeit wahre Triumphe feiert. Den Griechen und Römern verdanken wir das kritische, rationale Denken, das nach
langem Kampf mit dem Aberglauben in der Aufklärung dann voll erblühte und uns die Früchte einer beispiellosen
technologischen Revolution, einer objektiven Wissenschaft und einer zunehmend demokratischen
Gesellschaftsordnung bescherte.
Die Wilden, die Primitiven, die Zurückgebliebenen, die in Aberglauben, Mythos und Irrationalität Verfangenen, das
waren immer die anderen: Indianer, Neger, Zigeuner und die letzten Stammesgesellschaften im eigenen Land, mit
denen sich Sozialwissenschaftler und unverbesserliche Romantiker beschäftigen und die es zu »entwickeln«, zu
schulen, zu zivilisieren und zu akkulturieren galt.
Dass auch das eine Mythologie - unser eigener Mythos von Fortschritt und Vernunft - ist, wird allmählich vielen
klar. Auch dämmert die Erkenntnis, dass Mythologien keine belanglosen, unverbindlichen, blassen, subjektiven
Phantasien sind, sondern Träger schicksalsträchtiger Ideen, die das Werden ganzer Zeitepochen und Gesellschaften
bestimmen. Jede kulturtragende Mythologie hat ihre ganz reellen Auswirkungen - auf die Menschen, auf die Natur,
auf das Klima, auf alles, was »zeucht und fleucht« unter dem Himmel. Die Mythologie des Fortschritts, der totalen
Rationalität, der Objektivität, der technologischen Machbarkeit hat ebenfalls ihre Konsequenzen. Zum Teil
berauschende: Wir können Auto fahren, im Internet surfen, Herzen verpflanzen, Schafe klonen, Zähne plombieren,
gegen Grippe impfen und so weiter. Zum Teil aber auch erschreckende: wieder mal eine Ölpest, Castor-Transporte,
unaufhaltsames Artensterben, Ozonlöcher, kränkelnde Baumplantagen, die Wälder genannt werden, Verarmung und
überbevölkerte Slums, elektrisch grell erhellte Nächte, das allgegenwärtige Rauschen, Summen und Brummen
zahlloser Geräte und Automaten, Klimaveränderung durch das Verbrennen von Abermillionen Tonnen des
schwarzen Bluts der Erde und all die virtuellen Realitäten, in denen sich so mancher verirrt. Ja, es hat einen Sinn,
die Medizinleute und Schamanen jener Völker zu befragen, die seit Urgedenken harmonisch mit der sie
umgebenden Natur zusammenlebten; es hat einen Sinn, zu den eigenen Wurzeln zurückzublicken, als das auch bei
uns noch einigermaßen der Fall war.
Ich konnte Manitonquat beruhigen: »Die Weißen sind keine von irgendeinem Plastikstern hereingebeamten,
außerirdischen Zombies. Auch sie lebten einst in Stammesgemeinschaften, eingebettet in ihrer natürlichen Mitwelt;
auch sie konnten mit den Tieren und Geistern reden. Sie haben es nur vergessen oder es ist ihnen ausgetrieben
worden. Frag doch mal Deine Zuhörer, ob sie Frau Holle kennen, denn so hieß die Großmutter einst bei uns!«
Als ich Manitonquat am Abend wieder sah, strahlte er. Ja, die Frau Holle kannten sie. Ja, es gibt Hoffnung.
»Indianer könnt ihr Europäer nicht werden, denn die Schildkröteninsel, die ihr Amerika nennt, hat ihre eigene
„Medizin“ (Kräfte) und diese hat uns geprägt. Wie Ameisen aus ihrem Bau sind unsere Vorfahren dort aus der Erde
hervorgegangen. Aber ihr könnt euch hier wieder mit der Erdmutter verbinden und euch mit den geschundenen
Bäumen, Kräutern, Steinen, mit den Tieren und den Ahnengeistern versöhnen, so dass ihr wieder Wurzeln bekommt
und stark werdet.«
Ich war dem Indianer dankbar und erkannte, dass Frau Holle - die noch immer in unserem Unterbewusstsein lebt -
ihre Kinder nicht im Stich lassen wird. Sie ruft uns zurück, zurück zu den heilenden Quellen, zu den Kräutern und
Bäumen, die hier überall, einige Schritte vor unserer Haustür, im Wald, am Flussufer, im Park, auf den Wiesen
wachsen. Sie ruft uns zu den lebenden Wurzeln. Auch wenn in diesem Weltenwinter alles erstarrt und erfroren zu
sein scheint, leben diese Wurzeln noch immer und werden im bevorstehenden Weltenfrühling neu austreiben. Und
bei dem Gedanken bewegen wir uns schon im keltischen Mythos, in dem die Zeit einem sich drehenden Rad gleicht,
in dem die Vergangenheit zur Zukunft wird und ebenso die Zukunft zur Vergangenheit. Das keltische Wort für Rad
ist dasselbe wie das für das Jahr (ELIADE 1980: 128). Es ist das vierspeichige Rad (= die vier Jahreszeiten) des
himmlischen Herrschers der Gezeiten, Tanaris (irisch Dagda). Es ist zugleich das Spinnrad der dreifachen Göttin,
die, unter den Wurzeln des Weltenbaumes, am Urquell sitzend, das Schicksal der Götter und Menschen
hervorspinnt. Wer die Zukunft, das auf uns Zukommende, wer den Schicksalsgrund erkennen will, der schaue tief,
ganz tief dorthin, wo im großen Kreis des Seins das Gewordene sich wieder in Werdendes verwandelt.
Die Kelten waren fast tausend Jahre lang das führende Kulturvolk in Europa. Dieses Volk, aufgesplittert in fast
hundert größere und kleinere Stämme, ist aus der Vermählung der Erdgöttin der früheuropäischen Bauern und des
Himmelsgottes der aus den westasiatischen Steppen kommenden Hirten- und Reiternomaden entsprossen. Das
Kernland der Kelten erstreckte sich zur Hallstattzeit, vor knapp 3000 Jahren, von Ungarn und Böhmen über den
gesamten Alpenraum bis nach Ostfrankreich. In einer zweiten Blüte (ab 450 v. u. Z.), während der so genannten
La-Tene-Zeit, stießen die Kelten bis nach Griechenland und Kleinasien vor - es sind die im Paulusbrief des Neuen
Testaments erwähnten Galater. Im Westen dringen sie bis nach Spanien und um 200 v. u. Z. bis zu den Britischen
Inseln vor. Mit dem Eroberungszug der Römer in Gallien erlosch allmählich ihr Stern. Der Sieg Julius Caesars und
seiner gut ausgebildeten Berufssoldaten über die tollkühnen, aber undisziplinierten keltischen Krieger, die sich unter
dem Gallierhäuptling Vercingetorix zu einem losen Kriegsbund zusammengeschlossen hatten, markiert das Ende
einer Epoche. »Vercingetorix trug seine besten Waffen und hatte sein Pferd geschmückt (...) Er beschrieb einen
Kreis um Caesar, sprang vom Pferd und warf seine Waffe auf den Boden« (CAESAR, De bello gallico, 27). Dieser
rituelle Akt der Unterwerfung, wie ihn Plutarch beschreibt, symbolisiert zugleich das bevorstehende Ende
naturverbundener Stammeskulturen in Europa. Nur in Britannien, vor allem in Wales und Irland, lebte die
La-Tene-Kultur unter christlich-feudalem Vorzeichen noch bis ins Mittelalter fort.
Warum sollten die Kelten für uns interessant sein? Nicht nur haben sie die Grundzüge der europäischen Bauern- und
Volkskultur geprägt, sie haben vor allem im lebendigen Einklang mit der hiesigen natürlichen Umwelt, mit dem
Wald, gelebt. Sie erlebten die Natur nicht nur voller magischer, ätherischer Kräfte, sondern beseelt und mit
Bewusstsein erfüllt. Bäume, Steine, Quellen, der Wind und alle Geschöpfe waren für sie ansprechbar. Diese
Sichtweise, dieses Eingebettetsein in unserer unmittelbaren natürlichen Mitwelt, haben wir weitgehend verloren.
Unsere Hellsichtigkeit ist erloschen. Unsere Verbundenheit, unser Geborgensein in einer vom ständigen Werden,
Vergehen und von neuem Werden geprägten natürlichen Welt ist uns abhanden gekommen. In diesem Buch wollen
wir versuchen, etwas von dem verlorenen Terrain wiederzuerlangen.
Einführende Worte von Großvater Goethe
Dass Pflanzen eine Geistseele haben, die sich der Vision des Schamanen offenbaren kann, das hat mich der
Medizinmann Bill Tallbull gelehrt. Diese Geistseelen, die er Maiyun nannte, kommunizieren mit dem Menschen -
ob er sich dessen bewusst ist oder nicht - auf telepathische Art und Weise. Sie können im Menschen Gefühle
erwecken, ihm in den Träumen erscheinen oder ihm hohe Inspirationen zukommen lassen. So prägt die Vegetation
einer Region die Menschen und ihre Kultur. Die Eingeborenen und die Pflanzen, die um sie herum wachsen, bilden
eine Einheit. Auch die Kultur der Kelten und anderer indigener europäischer Völker wurde von der Flora der
Länder, in denen diese Völker siedelten, geprägt.
Goethe, der ein großer Pflanzenkenner war, wusste davon. Einmal stellte der Dichter einen blühenden Lorbeer und
eine japanische Pflanze auf den Tisch. Johann Peter Eckermann, der Freund und Sekretär Goethes, bemerkte, dass
von den beiden Pflanzen unterschiedliche Stimmungen ausgingen. Er sagte, dass der Anblick des Lorbeers ihn
heiter, leicht und milde mache, die japanische Pflanze ihn dagegen melancholisch stimme.
»Sie haben nicht unrecht«, sagte Goethe, »und daher kommt es denn auch, dass man der Pflanzenwelt eines Landes
einen Einfluss auf die Gemütsart seiner Bewohner zugestanden hat. Und gewiss! Wer sein Leben lang von hohen
ernsten Eichen umgeben wäre, müsste ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich
erginge. Nur muss man bedenken, dass die Menschen im Allgemeinen nicht so sensibler Natur sind als wir anderen
und dass sie im Ganzen kräftig vor sich hinleben, ohne den äußeren Eindrücken so viele Gewalt einzuräumen. Aber
so viel ist gewiss, dass außer dem Angeborenen der Rasse sowohl Boden und Klima als Nahrung und Beschäftigung
einwirkt, um den Charakter eines Volkes zu vollenden. Auch ist zu bedenken, dass die frühesten Stämme
meistenteils von einem Boden Besitz nahmen, wo es ihnen gefiel und wo also die Gegend mit dem angeborenen
Charakter der Menschen bereits in Harmonie stand« (ECKERMAN 1999: 333).
Die Kräuter, Büsche und Bäume selbst sind es, die mir am meisten über die Kelten erzählt haben. Die anderen
Quellen seien im Folgenden kurz beschrieben.
Auf Odins Platz: »Ich fragte ihn nach der alten Religion. Nichts übrig geblieben, sagte er, und ein Wind kam auf.«
Die Quellen
Was wissen wir eigentlich über die Kelten, die so lange das gesellschaftliche und kulturelle Leben Europas
gestalteten und prägten? Was können wir insbesondere über ihre Heilkunde und Pflanzenkenntnisse in Erfahrung
bringen?
Schrifttum der Antike
Für die Schreibstubengelehrten fließen die Quellen bezüglich der Kelten und insbesondere ihrer Pflanzen- und
Heilkunde recht spärlich. Diese Völker haben keine Schriften hinterlassen. Caesar berichtet, dass die Druiden, die
Weisen der Kelten, zwar schreiben konnten und dass sie ihre alltägliche, geschäftliche Korrespondenz in
griechischer Schrift verfassten. Was aber ihre Lehre betraf, weigerten sie sich, diese schriftlich festzulegen. Um die
zwanzig Jahre verbrachten die Druidenanwärter in abgelegenen Waldschulen, wo sie - ähnlich den indischen
Brahmanen - die Weisheiten und Erkenntnisse in Form von abertausend Versen auswendig, »mit ihrem Herzen« (by
heart) lernten. Wissen, das nicht im Herzen getragen wird, sagten die Druiden, sei kein echtes Wissen.
Mitunter hört man, meist von überzeugten Keltomanen, den Einwand, dass die Kelten sehr wohl ihre eigene
Geheimschrift, die Ogam-Schrift, hatten. Das gesamte druidische Wissen sei von geheimen Druidenorden in
Schottland in dieser Schrift festgehalten worden und sei den Ordensmitgliedern - gegen genügende Bezahlung -
zugänglich. Nun, in Wirklichkeit sind diese geheimen Orden erst im 18. oder 19. Jahrhundert entstanden und haben
wenig mit den alten Druiden zu tun. Die echten Ogam-Schriftzeichen bestehen aus waagrechten und senkrechten
Strichen, die in die Kanten von Stein- oder Holzpfeilern geritzt oder geschnitzt wurden. Die Ogam-Zeichen
entstanden in Irland im frühen Mittelalter und wurden - ähnlich den in Baumrinde geritzten Runen der Germanen -
nicht zum Festhalten von Ideen, sondern magisch, als Schutzzauber, zur Beherrschung der Geister oder in
Erinnerung an die Toten oder an große Taten verwendet. Eine irische Geschichte erzählt von einem Druiden, der
Ogam-Zeichen in Eibenstäbe schnitzte, um eine entführte Königin wiederzufinden, die von den Andersweltlichen in
ein Sid, ein Hühnengrab, entführt worden war (LE Roux/GuyoNvARc'h 1996: 184). Die Ogam-Schrift ist für unsere
Zwecke nicht uninteressant, denn jedes der zwanzig Zeichen symbolisiert einen Baum. Jeder Buchstabe vermittelte
im Bewusstsein des keltischen Betrachters die Macht oder die Energieschwingung des jeweiligen Baumes.
Was wir an schriftlichen Quellen über die alten Kelten besitzen, stammt ausschließlich aus griechischen und
römischen Berichten. Wie wir sehen werden, schrieb der römische Gelehrte Plinius der Ältere Aufschlussreiches
über die Rituale, welche die Druiden beim Sammeln der Eichenmistel, des Bärlapps (Selago), des Samolus'
(Ehrenpreis?) und des Eisenkrauts vollzogen. Die ergiebigste antike Quelle bezüglich der Heilpflanzen stammt aus
der Feder des aus dem gallischen Aquitanien gebürtigen Römers Marcellus Empiricus. In dem um 395 n. u. Z.
geschriebenen Buch Liber de Medicamentis übernimmt Marcellus das meiste zwar aus den antiken Werken der
Griechen und Römer, erwähnt aber dennoch nicht nur einige gallo-keltische Pflanzennamen, sondern auch die
volksmedizinische Verwendung der Pflanzen in Aquitanien zu dieser Zeit (HÖFLER 1911: 4). Ansonsten werden
auch bei Dioskurides, Plinius und Apuleius von Madaura einige gallo-keltische Pflanzennamen überliefert, die für
uns aufschlussreich sind.
Archäologisches Material
Ausgrabungen in großen Teilen Europas ermöglichen weitere wertvolle Einsichten in die Welt der Kelten.
Grabbeigaben wie Bierkessel, Trinkhörner, Prunkwagen, Knochen geopferter Tiere, Reste von Totenspeisen und
Textilien, auch Pollenanalysen des Bodens helfen uns, das rätselhafte Volk der Kelten besser zu verstehen. Das
Grab des »Fürsten von Hochdorf«, ein glücklicherweise ungeplündertes Grab aus der späten Hallstattzeit in der
Nähe von Stuttgart, enthielt zum Beispiel Stoffreste aus Hanfbast und Lein. Der tote keltische Häuptling war auf
Haselzweige, Kräuter und Blumen gebettet und trug einen konischen Birkenrindenhut. Ein Weidenkörbchen und ein
Haselrutenstab waren auch mit dabei (KÖRBER-GRoHNE/KüsTER 1985: 145).
Irische und andere britische Überlieferungen aus dem Mittelalter
Im 9. Jahrhundert, also mindestens ein halbes Jahrtausend nach der Bekehrung, begannen christliche Mönche in
Irland die Geschichten der mündlichen Überlieferung aufzuschreiben. Die Aufzeichnungen sind selbstverständlich
durch einen christlichen Filter gegangen und dementsprechend entstellt, dennoch enthalten sie Aufschlussreiches
über keltisches Brauchtum und keltische Heilkunde (SHARKEY 1982: 17). Im größten Epos der Iren etwa, dem
Tdin Bö Cuailnge (Der Rinderraub von Cooley), erscheint der mächtige Sonnengott Lug, um den schwer
verwundeten Helden zu heilen. Er schläfert den aus vielen Wunden blutenden Cuchulainn durch »Männersummen«
(ferdord) ein, untersucht die Wunden, besingt sie und legt Heilkräuter darauf. Nach drei Tagen Tiefschlaf ist der
Held wieder hergestellt (BOTHEROYD 1995: 202).
Als weitere Quelle kommt die kymrische - in walisischer Sprache verfasste -mittelalterliche Literatur, die Märchen
und Sagen, die Heldenepen und Gedichte der großen Barden, in Betracht.
Europäische Folklore: Brauchtum, Volksmedizin, Volkskunde, Märchen, Bauernrätsel und
Bauernregeln
Mit der Eroberung Galliens und anderer keltischer Länder durch das Imperium Romanum; dem
Missionierungsdruck der römischen Kirche, auch durch den Einfall der slawischen Völker aus dem Osten und der
Germanen aus dem Norden, etwa der Angelsachsen in Britannien, wurde die keltische Kultur gleichsam
»enthauptet«. Das Druidentum, Träger der keltischen Hochkultur, und der Kriegeradel wurden praktisch
ausgelöscht. Mit ihnen schwanden die keltischen Hochgötter, die großen Opferrituale und die druidische
Hochmagie. Aber das einfache Volk, nun allmählich zum Christentum bekehrt und anderen Herren untertan, lebte
weiterhin in strohgedeckten Einzelhöfen, aß weiterhin Brei und Mus, trank weiterhin Gerstenbier, glaubte weiter an
die lokalen Geister, an all die Heinzelmännchen, Elfen, Wasser- und Waldgeister, und opferte diesen. Man säte,
pflanzte, erntete, schlug Holz und versorgte das Vieh weiterhin im Einklang mit den Jahreszeiten. Man heilte mit
denselben Kräutern und unter Zuhilfenahme ähnlicher Heilsprüche wie bisher. An die Stelle der heidnischen
Gottheiten, die die verschiedenen Jahreszeiten beherrschten, traten einfach die passenden christlichen Heiligen, an
die Stelle der Göttin Maria. Ebenso wie die christlichen Kirchen und Kapellen nun auf alten heidnischen
Heiligtümern standen, wurden die christlichen Feiertage in den traditionellen Kalender mit eingebaut: Christi Geburt
wurde auf die Wintersonnenwende festgelegt, Maria Lichtmess auf das Fest der Lichtgöttin Brigit, Ostern und
Pfingsten auf die herkömmlichen heidnischen Frühlingsfeste, Johanni auf das Fest des Sonnengottes und so weiter.
Das sakrale Jahr wurde also »keltifiziert« oder das keltische Jahr christianisiert. Anders gesagt, in der Kultur des
kleinen Mannes - der little tradition, wie der Kulturanthropologe Robert Redfield diese im Gegensatz zur big
tradition der Hochkultur definierte - ist praktisch die ungebrochene Kontinuität keltischer Bräuche gewährleistet
(REDFIELD 1941). Und das nicht nur in Irland oder Wales, sondern auch anderswo in Mittel- und Westeuropa,
insbesondere in den Rückzugsgebieten des Alpenraums. Vor allem auf diese noch immer nicht versiegte Quelle
wollen wir uns in Bezug auf die Heil- und Zauberpflanzen in diesem Buch berufen. Ehe wir zur Sache gehen,
wollen wir im folgenden ersten Kapitel einen kurzen Blick auf das kulturelle und historische Umfeld werfen, in
welchem die keltische Heil- und Pflanzenkunde eingebettet war. Das sind wir einer ganzheitlichen
Betrachtungsweise schuldig.
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