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Der Golem
I s i d o r H e l l e r
DER GOLEM
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Isidor Heller
DER GOLEM
Eine böhmisch-jüdische Sage
(1842)
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Isidor Heller
(1816 – 1879)
1. Ausgabe, Juli 2006
© eBOOK-Bibliothek 2006 für diese Ausgabe
Textbearbeitung nach: „Sonntags-Blätter für heimathliche
Interessen.“, Ausgabe No. 3 vom 15. Januar 1842
or mehren hundert Jahren lebte in der Stadt Prag ein
Rabbi, namens Löw, den seine Glaubensgenossen da-
mals und noch heute den hohen Rabbi Löw nannten. Dieser
Rabbi war nicht bloß großer Arzt, Naturforscher und Tal-
mudist, er verstand auch die geheimnisreichen Bücher der
Kabbala und war Meister aller der Wunderkräfte, die sie
dem Eingeweihten verleihet.
In der Studierstube des Rabbi stand stets vor seinem
Tische ein aus Lehm geformter Mann als memento mori .
Diese Figur wurde der Golem genannt, welches hebräische
Wort ein lebloses Ding bedeutet.
Eines Nachts, als der Rabbi in dicken Folianten lange
studiert hatte, schob er das Buch unmutig vor sich hin, und
sank matt in seinen großen Lehnstuhl zurück. Es hatte ihn
nämlich jener Überdruß an seinem großen Treiben über-
kommen, jenes kranke Gefühl, das wohl jedem Menschen
zuweilen im Leben wie eine Pfütze über die Seele rinnt,
wenn Fantasie schon alle Winkel unsers Tuns umflackert
hat, und dann wie ein Flämmchen erlischt, das allen fet-
tigen Stoff verzehrt hat. Stöhnend verwünschte der Rabbi
sein geisterhaftes Schattenleben und beneidete jeden Tröd-
ler in der Gemeinde um das Glück, das ihm Weib und Kind
V
und die dampfende Sabbatschüssel gewährte, sogar um
die Sorgen, welche die Stränge, an die er gespannt, stets
straff hielten.
In diesem Unmute traf das Auge des Rabbi auf den
Golem , der gleichgültig und ungerührt vor dem Tische
stand, grade wie ein Mensch mit lehmiger Seele. Memento
mori sprachen die Lippen des Rabbi gewohnterweise, denn
er war der lateinischen Sprache wohl kundig; — aber
diese Worte schlugen diesmal in seiner Brust nicht die ge-
wöhnliche Saite an, die von Verachtung irdischen Genusses
tönte. Im Gegenteile fuhr der Rabbi hitzig auf und rief
wild: „Wir sterben, was ist’s weiter! das Erdbeben wirft
Häuser in Trümmer, und darum sollte man ewig in freier
Luft vor Nässe und Kälte klappern? — O jämmerliches
Lehmbild, du hast mich bei lebendigem Leibe zu Lehm
gemacht, hast mein Herz vertrocknet und mein Mark ge-
dörrt. Warum stellte ich nicht lieber eine Sanduhr auf mei-
nen Tisch, daß mich jedes Körnchen an die verrinnenden
Augenblicke mahnte.“ — Erbittert griff er nach einem
Hammer und erhob den Arm, um ihn auf den Kopf des
armen Golem zerschmetternd niederfallen zu lassen. Der
alte zornige Mann mit dem langen Barte sah jetzt aus wie
der verstorbene Gott Thor, wenn er mit Donner und Blitz
die sündige Welt heimsuchen wollte. Aber in diesem Mo-
mente blitzte ein gewaltiger Gedanke durch den Kopf des
Rabbi und verhinderte die rasche Tat. Überrascht blieb er
eine Minute in seiner drohenden Stellung, dann ließ er den
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