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Der Alte
An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter, wohlgekleideter Mann langsam die Straße hinab. Er
schien von einem Spaziergang nach Hause zurückzukehren; denn seine Schnallenschuhe, die einer
vorübergegangenen Mode angehörten, waren bestäubt. Den langen Rohrstock mit goldenem Knopf
trug er unter dem Arm; mit seinen dunkeln Augen, in welche sich die ganze verlorene Jugend
gerettet zu haben schien und welche eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen, sah er
ruhig umher oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm lag. - Er schien fast ein
Fremder; denn von den Vorübergehenden grüßten ihn nur wenige, obgleich mancher unwillkürlich
in diese ernsten Augen zu sehen gezwungen wurde. Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause
still, sah noch einmal in die Stadt hinaus und trat dann in die Hausdiele. Bei dem Schall der
Türglocke wurde drinnen in der Stube von einem Guckfenster, welches nach der Diele hinausging,
der grüne Vorhang weggeschoben und das Gesicht einer alten Frau dahinter sichtbar. Der Mann
winkte ihr mit seinem Rohrstock. "Noch kein Licht!" sagte er in einem etwas südlichem Akzent;
und die Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen. Der Alte ging nun über die weite Hausdiele,
dann durch einen Pesel, wo große Eichschränke mit Porzelanvasen an den Wänden standen; durch
die gegenüberstehende Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine enge Treppe zu den oberen
Zimmern des Hinterhauses führte. Er stieg sie langsam hinauf, schloß oben eine Tür auf und trat
dann in ein mäßig großes Zimmer. Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast mit
Repositorien und Bücherschränken bedeckt; an der anderen hingen Bilder von Menschen und
Gegenden; vor einem Tische mit grüner Decke; auf dem einzelne aufgeschlagene Bücher
umherlagen, stand ein schwerfälliger Lehnstuhl mit rotem Sammetkissen. - Nachdem der Alte Hut
und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten
Händen von seinem Spaziergange auszuruhen. - Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich
fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle
Streif langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein
kleines Bild in schlichtem, schwarzen Rahmen. "Elisabeth!" sagte der Alte leise; und wie er das
Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt - er war in seiner Jugend.
Die Kinder
Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß Elisabeth und mochte fünf
Jahre zählen; er selbst war doppelt so alt. Um den Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ
ihr hübsch zu den braunen Augen.
"Reinhard!" rief sie. "Wir haben frei, frei! Den ganzen Tag keine Schule und morgen auch nicht."
Reinhard stellte die Rechentafel die er schon unterm Arm hatte, flink hinter die Haustür, und dann
liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wiese.
Die unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zustatten. Reinhard hatte hier mit Elisabeths Hilfe ein
Haus aus Rasenstücken aufgeführt; darin wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte
noch die Bank. Nun ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und die nötigen Bretter lagen
schon bereit. Währenddessen ging Elisabeth an dem Wall entlang und sammelte den ringförmigen
Samen der wilden Malve in ihre Schürze; davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und
als Reinhart endlich trotz manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch zustande
gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging sie schon weit davon am anderen Ende
der Wiese.
"Elisabeth!" rief er. "Elisabeth!" Und da kam sie und ihre Locken flogen. "Komm", sagte er, "nun
ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz heiß geworden; komm herein, wir wollen uns auf die neue
Bank setzen. Ich erzähl' die etwas."
Dan gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank. Elisabeth nahm ihre Ringelchen
aus der Schürze und zog sie auf lange Bindfäden; Reinhard fing an zu erzählen: "Es waren einmal
drei Spinnfrauen..."
"Ach", sagte Elisabeth, "das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht immer dasselbe erzählen."
Da mußte Reinhart die Geschichte von den drei Spinnfrauen steckenlassen, und statt dessen erzählte
er die Geschichte von dem armen Mann, der in die Löwengrube geworfen war. "Nun war es Nacht",
sagte er, "weißt du, ganz finstere, und die Löwen schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und
reckten die roten Zungen aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme. Da
warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er aufsah, stand ein Engel vor ihm. Der
winkte ihm mit der Hand und ging dann gerade in die Felsen hinein."
Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. "Ein Engel?" sagte sie. "Hatte er denn Flügel?"
"Es ist nur so eine Geschichte", antwortete Reinhart, "es gibt ja gar keine Engel."
"O pfui, Reinhart!" sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht. Als er sie aber finster anblickte, fragte
sie ihn zweifelnd: "Warum sagen sie es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?"
"Das weiß ich nicht", antwortete er.
"Aber du", sagte Elisabeth, "gibt es denn auch keine Löwen?"
"Löwen? Ob es Löwen gibt! In Indien; da spannen die Götzenpriester sie vor den Wagen und fahren
mit ihnen durch die Wüste. Wenn ich groß bin, will ich einmal selber hin. Da ist es vieltausendmal
schöner als hier bei uns; da gibt es gar keinen Winter. Du mußt auch mit mir. Willst du?"
"Ja", sagte Elisabeth, "aber Mutter muß dann auch mit und deine Mutter auch."
"Nein, sagte Reinhard, "die sind dann zu alt, die können nicht mit."
"Ich darf aber nicht allein."
"Du sollst schon dürfen; du wirst dann wirklich meine Frau, und dann haben die andern dir nichts
zu befehlen."
"Aber meine Mutter wird weinen."
"Wir kommen ja wieder!" sagte Reinhard heftig, "sag es nur gerade heraus, willst du mit mir reisen?
Sonst geh'ich aIlein; und dann komme ich nimmer wieder."
Der Kleinen kam das Weinen nahe.
"Mach nur nicht so böse Augen", sagte sie, "ich will ja mit nach Indien."
Reinhard faßte sie mit ausgelassener Freude bei beiden Handen und zog sie hinaus auf die Wiese.
"Nach Indien, nach Indien", sang er und schwenkte sich mit ihr im Kreise, daß ihr das rot
Tüchelchen vom Halse flog. Dann aber ließ er sie plötzlich los und sagte ernst "Es wird doch nichts
daraus werden; du hast keine Courage"
- - "Elisabeth! Reinhard!" rief es jetzt von der Gartenpforte. "Hier! Hier!" antworteten die Kinder
und sprangen Hand in Hand nach Hause.
Im Walde
So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft zu heftig, aber sie ließen
deshalb nicht voneinander; fast alle Freistunden teilten sie, winters in den beschränkten Zimmern
ihrer Mütter, sommers in Busch und Feld. - Als Elisabeth einmal in Reinhards Gegenwart von dem
Schullehrer gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den Eifer des Mannes
auf sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhard verlor alle Aufmerksamkeit an den
geographischen Vorträgen; statt dessen verfaßte er ein langes Gedicht; darin vergIich er sich selbst
mit einem jungen Adler, den Schulmeister mit einer grauen Krähe, Elisabeth war die weiße Taube;
der Adler gelobte, an der grauen Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein
würden. Dem jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich sehr erhaben vor. Als er
nach Hause gekommen war, wußte er sich einen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu
verschaffen: auf die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht. - Bald darauf
kam er in eine andere Schule; hier schloß er manche neue Kameradschaft mit Knaben seines Alters;
aber sein Verkehr mit Elisabeth wurde dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst
erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am besten gefallen hatten,
aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust an, etwas von seinen eigenen Gedanken
hineinzudichten; aber, er wußte nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen. So schrieb er
sie genau auf, wie er sie selber gehört hatte. Dann gab er die Blätter an Elisabeth, die sie in einem
Schubfach ihrer Schatulle sorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige Befriedigung,
wenn er sie mitunter abends diese Geschichten in seiner Gegenwart aus den von ihm geschriebenen
Heften ihrer Mutter vorlesen hörte.
Sieben Jahre waren vorüber. Reinhard sollte zu seiner weiteren Ausbildung die Stadt verlassen.
Elisabeth konnte sich nicht in den Gedanke finden, daß es nun eine Zeit ganz ohne Reinhard geben
werde. Es freute sie, als er eines Tages sagte, er werde, wie sonst, Märchen für sie aufschreiben; er
wolle sie ihr mit den Briefen an seine Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie
sie ihr gefallen hätten. Die Abreise rückt heran; vorher aber kam noch manche Reim in den
Pergamentband. Daß allein war für Elisabeth ein Geheimnis obgleich sie die Veranlassung zu dem
ganzen Buche und zu den meisten Liedern war, welche nach und nach fast die Hälfte der weißen
Blätter gefüllt hatten.
Es war im Juni; Reinhard sollte am andern Tage reisen. Nun wollte man noch einmal einen
festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine Landpartie nach einer der nahe gelegenen
Holzungen in größerer Gesellschaft veranstaltet. Der stundenlange Weg bis an den Saum des
Waldes wurde zu Wagen zurück gelegt; dann nahm man die Proviantkörbe herunter und marschierte
weiter. Ein Tannengeholz mußte zuerst durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der
Boden überall mit feinen Nadeln bestreut. Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem
Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war alles licht und grün, mitunter brach ein
Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; ein Eichkätzchen sprang aber ihren Köpfen von Ast
zu Ast. - Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem durchsichtigen
Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft halt. Elisabeths Mutter öffnete einen der
Körbe; ein alter Herr warf sich zum Proviantmeister auf. "Alle um mich herum, ihr jungen Vögel!"
rief er. "Und merket genau, was ich euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein jeder von
euch zwei trockene Wecken; die Butter ist zu Hause geblieben, die Zukost müßt ihr euch selber
suchen. Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das heißt, für den, der sie zu finden weiß. Wer
ungeschickt ist, muß sein Brot trocken essen; so geht es überall im Leben. Habt ihr meine Rede
begriffen?"
"Jawohl!" riefen die Jungen.
"Ja seht", sagte der Alte, "sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten haben uns im Leben schon
genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt zu Haus, das heißt, hier unter diesen breiten
Bäumen, und schälen die Kartoffeln und machen Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr
zwölf ist, sollen auch die Eier gekocht werden. Dafür seid ihr uns von euren Erdbeeren die Hälfte
schuldig, damit wir auch einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und West und
seid ehrlich!"
Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter. "Halt!" rief der Alte noch einmal. "Das brauche
ich euch wohl nicht zu sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber das schreibt
euch wohl hinter eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt er auch nichts. Und nun habt ihr für
diesen Tag gute Lehren genug; wenn ihr nun noch Erdbeeren dazu habt, so werdet ihr für heute
schon durchs Leben kommen."
Die Jungen waren derselben Meinung und begannen sich paarweise auf die Fahrt zu machen.
"Komm, Elisabeth", sagte Reinhard, "ich weiß einen Erdbeerenschlag; du sollst kein trockenes Brot
essen."
Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhutes zusammen und hängte ihn über den Arm. "So
komm", sagte sie, "der Korb ist fertig."
Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte, undurchdringliche
Baumschatten, wo alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den Lüften das Geschrei der Falken;
dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so dicht, daß Reinhard vorangehen mußte, um einen Pfad zu
machen, hier einen Zweig zu knicken, dort eine Ranke beiseite zu biegen. Bald aber hörte er hinter
sich Elisabeth seinen Namen rufen. Er wandte sich um. "Reinhard." rief sie. "Warte doch,
Reinhard!" Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah er sie in einiger Entfernung mit den
Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur kaum über den Spitzen der Farnkräuter.
Nun ging er noch einmal zurück und führte sie durch das Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen
freien Platz hinaus, wo blaue Falter zwischen den einsamen Waldblumen flatterten. Reinhard strich
ihr die feuchten Haare aus dem erhitzten Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen,
und sie wollte es nicht leiden; dann aber bat er sie, und dann ließ sie es doch geschehen.
"Wo bleiben denn aber deine Erdbeeren?" fragte sie endlich, indem sie stehenblieb und einen tiefen
Atemzug tat.
,Hier haben sie gestanden", sagte er, "aber die Kröten sind uns zuvorgekommen, oder die Marder,
oder vielleicht die Elfen."
"Ja", sagte Elisabeth, "die Blätter stehen noch da; aber sprich hier nicht von Elfen. Komm nur, ich
bin noch gar nicht müde; wir wollen weiter suchen."
Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald. Reinhard hob Elisabeth auf seine Arme
und trug sie hinüber. Nach einer Weile traten sie aus dem schattigen Laube wieder in eine weite
Lichtung hinaus. "Hier müssen Erdbeeren sein", sagte das Mädchen, "es duftet so süß."
Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine. "Nein", sagte Reinhard, "es
ist nur der Duft des Heidekrautes."
Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander; ein starker Geruch von
Heidekräutern welche abwechselnd mit kurzem Grase die freien Stellen des Bodens bedeckten,
erfüllte die Luft. "Hier ist es einsam", sagte Elisabeth, "wo mögen die andern sein?"
An den Rückweg hatte Reinhard nicht gedacht. "Warte nur; woher kommt der Wind?" sagte er und
hob seine Hand in die Höhe. Aber es kam kein Wind.
"Still!" sagte Elisabeth, "mich dünkt, ich hörte sie sprechen. Rufe einmal dahinunter."
Reinhard rief durch die hohle Hand: "Kommt hieher!" - "Hieher!" rief es zurück.
Sie antworten!" sagte Elisabeth und klatschte in die Hände.
"Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall."
Elisabeth faßte Reinhards Hand. "Mir graut!" sagte sie.
"Nein", sagte Reinhard, "das muß es nicht. Hier ist es prächtig. Setz dich dort in den Schatten
zwischen die Kräuter. Laß uns eine Weile ausruhen; wir finden die andern schon." Elisabeth setzte
sich unter eine überhängende Buche und lauschte aufmerksam nach allen Seiten; Reinhard saß
einige Schritte davon auf einem Baumstumpf und sah schweigend nach ihr hinüber. Die Sonne
stand gerade aber ihnen; es war glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, stahlblaue Fliegen
standen flügelschwingend in der Luft; rings um sie her ein feines Schwirren und Summen, und
manchmal hörte man tief im Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen der andern
Waldvögel.
"Horch," sagte Elisabeth, "es läutet."
"Wo?" fragte Reinhard.
"Hinter uns. Hörst du? Es ist Mittag."
"Dann liegt hinter uns die Stadt; und wenn wir in dieser Richtung gerade durchgehen, so müssen
wir die andern treffen."
So traten sie ihren Rückzug an; das Erdbeerensuchen hatten sie aufgegeben, denn Elisabeth war
müde geworden. Endlich klang zwischen den Bäumen hindurch das Lachen der Gesellschaft; dann
sahen sie auch ein weißes Tuch am Boden schimmern, das war die Tafel, und darauf standen
Erdbeeren in Hülle und Fülle. Der alte Herr hatte eine Serviette im Knopfloch und hielt den Jungen
die Fortsetzung seiner moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchierte.
"Da sind die Nachzügler!" riefen die Jungen, als sie Reinhard und Elisabeth durch die Bäume
kommen sahen.
"Hieher!" rief der alte Herr. "Tücher ausgeleert. Hüte umgekehrt! Nun zeigt her, was ihr gefunden
habt."
"Hunger und Durst!" sagte Reinhard. "Wenn das alles ist", erwiderte der Alte und hob ihnen die
volle Schüssel entgegen, "so müßt ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden keine
Müßiggänger gefüttert." Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu
schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen.
So ging der Tag hin. - Reinhard hatte aber doch etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, so war
es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach Hause gekommen war, schrieb er in seinen alten
Pergamentband:
Hier an der Bergeshalde
verstummet ganz der Wind;
die Zweige hängen nieder,
darunter sitzt das Kind.
Sie sitzt in Thymiane,
sie sitzt in lauter Duft;
die blauen Fliegen summen
und blitzen durch die Luft.
Es steht der Wald so schweigend,
sie schaut so klug darein;
um ihre braunen Locken
hin fließt der Sonnenschein.
Der Kuckuck lacht von ferne,
es geht mir durch den Sinn:
Sie hat die goldnen Augen
der Waldeskönigin.
So war sie nicht allein sein Schützling; sie war ihm auch der Ausdruck für alles Liebliche und
Wunderbare seines aufgehenden Lebens.
Da stand das Kind am Wege
Weihnachtabend kam heran. - Es war noch nachmittags, als Reinhard mit andern Studenten im
Ratskeller am alten Eichentisch zusammen saß. Die Lampen an den Wänden waren angezündet,
denn hier unten dämmerte es schon; aber die Gäste waren sparsam versammelt, die Kellner lehnten
müßig an den Mauerpfeilern. In einem Winkel des Gewölbes saßen ein Geigenspieler und ein
Zithermädchen mit seinen zigeunerhaften Zügen; sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoße liegen
und schienen teilnahmslos vor sich hin zu sehen. Am Studententische knallte ein
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