Godard Jean-Luc - Einfuhrung in eine wahre Geschichte des Kinos.pdf

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Jean-Luc Godard
Einführung in eine
wahre Geschichte
des Kinos
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Jean-Luc Godard, der ja bekanntlich selbst den Lauf der Kinogeschichte
nachhaltig beeinflusst hat, hielt ende der siebziger Jahre eine
Vorlesungsreihe in Montreal über Filmgeschichte und Kino und auch sein
eigenes Filmschaffen. Das Ganze wurde anschließend transkribiert und als
Buch veröffentlicht, wobei natürlich die ganzen gezeigten Filmauschnitte
nicht berücksichtigt werden konnten
ISBN: 359623686X
Fische r-TB.-Vlg.,Ffm
Erscheinungsdatum: Oktober 1993
Original: Introduction à une véritable histoire du cinéma
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Inhalt
Inhalt .....................................................................................2
Erste Reise...........................................................................3
Zweite Reise.......................................................................55
Dritte Reise.........................................................................97
Vierte Reise ......................................................................130
Fünfte Reise .....................................................................177
Erste Reise
Fallen Angel OTTO PREMINGER
A Bout de Souffle J.-L.GODARD
Ich bereite für mich selbst eine Art Film- und
Fernsehgeschichte vor, die "Unbekannte Aspekte der Geschichte
des Films" heißen soll. Und dazu, ist mir klargeworden, müßte
man zuallererst einmal Filme sehen können. Ich hatte vor, das
mit Langlois zu machen, aber in Paris war es einfach zu
schwierig. Hier dagegen ist es ziemlich leicht, Filme zu sehen.
Ich weiß nicht, wie Serge das macht, aber man braucht ihn nur
nach einer Kopie zu fragen, und schon hat man sie.
Ich hatte da eine Idee, ich wollte die Geschichte des Films
nicht einfach chronologisch erzählen, sondern eher etwas
archäologisch oder biologisch, und zu zeigen versuchen, wie
bestimmte Richtungen aufgekommen sind, genauso wie man die
Geschichte der Malerei erzählen könnte, wie zum Beispiel die
Perspektive entstanden ist, zu welchem Zeitpunkt die Ölmalerei
erfunden wurde und so weiter. Im Kino ist das nämlich auch
nicht einfach so passiert. Männer haben gemacht und Frauen,
die in Gesellschaft leben, zu einem bestimmten Zeitpunkt, die
sich ausdrücken und die diesen Ausdruck als Eindruck
hinterlassen oder die ihren Eindruck auf eine bestimmte Art und
Weise zum Ausdruck bringen. Und es muß da geologische
Schichten geben, kulturelle Erdverschiebungen. Und dafür
braucht man einfach Anschauungsmittel und Mittel zür Analyse,
nicht unbedingt ungeheuer aufwendige, aber angemessene. Und
eben die gibt es nicht, und deshalb bin ich zu der Überzeugung
gelangt... Ich meine... Ich bin jetzt fünfzig, ich glaube, ich bin
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mit meinem Leben fertig, mir bleiben vielleicht noch dreißig
Jahre, und jetzt möchte ich von den Zinsen meines Lebens
leben, wenn Sie so wollen, von einem Kapital von fünfzig
Jahren, jetzt möchte ich die Zinsen davon. Und deshalb
interessiert es mich eben zu sehen, was ich gemacht habe, und
vor allem, weil ich ein paar Filme gemacht habe, davon zu
profitieren und zu versuchen, auf diese Filme zurückzugreifen.
Ich habe mir gesagt: das muß doch ganz leicht sein. Jemand,
der keine Filme gemacht hat und sich sein Leben nochmal vor
Augen führen möchte, sein Familienleben, der kann sich
vielleicht Fotos anschauen, wenn er noch welche hat, aber alles
wird das nicht sein. Von seinem Arbeitsleben, wenn er am
Fließband gearbeitet hat oder bei General Motors oder bei einer
Versicherung, hat er bestimmt nichts behalten. Wahrscheinlich
hat er ein paar Fotos von seinen Kindern, aber kaum welche von
der Arbeit, nehme ich an, und Töne erst recht nicht.
So hatte ich mir vorgestellt, das heißt, ich dachte ich merke
jetzt, das ist eine Illusion -, dass ich im Kino - weil ich nun mal
Filme gemacht habe wenigstens sie wieder anschauen könnte
schließlich besteht Filmemachen darin, Serien von Fotos
aufzunehmen -, und dass ich wenigstens, von dieser
Vergangenheit ausgehend, meine eigene noch einmal sehen
könnte, wie eine Psychoanalyse meiner selbst und des Ortes, den
ich im Kino habe. Und ich habe feststellen müssen, dass
ausgerechnet die Geschichte des Kinos, die doch eigentlich am
leichtesten zu zeigen sein müßte, effektiv nicht zu sehen ist.
Man kann sich einen Film ansehen und hinterher darüber reden,
wie wir das hier tun, aber das ist im Grunde eine ziemlich
armselige Arbeit, man müßte zu etwas anderem kommen
können. Aber das wird vielleicht nicht von heute auf morgen
gehen.
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Nach und nach bin ich dahintergekommen, hier mit Serge,
weil wir eine Art Forschungsarbeit vorhatten. Ich hatte ein paar
Themen, wie zum Beispiel das, was das Allerwichtigste im Kino
ist, was man, ohne überhaupt zu wissen, was das ist, Montage
nennt. Diesen Aspekt der Montage muß man nämlich
verstecken, er ist zu gefährlich. Es heißt, die Dinge zueinander
in Beziehung setzen, damit man sie sieht - eine eindeutige
Situation. Solange einer, dem [...] hat, den anderen, mit dem
seine Frau jetzt zusammen ist, nicht gesehen hat, das heißt,
solange er nicht zwei Fotos hat, das des anderen und das von
seiner Frau, oder das des anderen und sein eigenes, hat er nichts
gesehen. Man muß immer zweimal sehen. Das ist es, was ich
mit Montage meine, einfach etwas in Verbindung bringen. Da
liegt die wahnsinnige Macht des Bildes und des Tons, der
dazugehört, oder des Tons und des Bildes, das dazugehört. Alles
das, seine Geologie, seine Geografie, umfaßt meiner Meinung
nach die Filmgeschichte, und das bleibt unsichtbar. Das zeigt
man besser nicht, heißt es. Ich werde, glaube ich, den Rest
meines Lebens oder meiner Arbeit im Kino darauf verwenden,
das zu sehen und es zunächst für mich selbst zu sehen, und auch
noch für mich selbst zu sehen, woran ich hin mit meinen
eigenen Filmen.
Ehe man sich Griffith und Eisenstein oder Murnau vornimmt,
um nur die bekanntesten Beispiele zu nehmen, ehe man damit
anfangen kann, sie sich anzuschauen, müßte man erst die
materiellen Möglichkeiten, die es gibt, zusammenbringen, die
beispielsweise darin bestehen, einen Film vorzuführen, ihn
langsamer laufen zu lassen, um etwa zu sehen, wie Griffith oder
jemand anders irgendwann an einen Schauspieler
herangegangen ist und die Großaufnahme, wenn nicht unbedingt
erfunden, so doch zum erstenmal mit einer gewissen Methode
verwendet hat. Wie er daraus eine Stilfigur gemacht hat, wie er
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