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Kurzgeschichten und Erzählungen
Christian
von Kamp
KURZGESCHICHTEN
und
ERZÄHLUNGEN
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Christian von Kamp
KURZGESCHICHTEN
und
ERZÄHLUNGEN
(2007)
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1. Ausgabe, April 2007
Text: © Christian von Kamp, 2007
Titelbild: © Christian von Kamp, 2007
© eBOOK-Bibliothek 2007 für diese Ausgabe
HINTER DER MASKE
Viele Jahrzehnte lang pilgerte das Volk zu der Maske, und
sie gab den um Weisung Bittenden bereitwillig Auskunft.
Doch nicht nur einfache Menschen begehrten, von den
Tempeldienern zu ihr vorgelassen zu werden, sondern auch
hohe Politiker, Richter, Wirtschaftsführer, Prominente ka-
men in Scharen, um eine Audienz zu erhalten. Durchaus
nicht jeder, der ein Anliegen an sie hatte, durfte vor sie hin-
treten. Glücklich waren alle, die dieses Vorrecht erlangten,
zutiefst enttäuscht hingegen diejenigen, die abgewiesen
wurden. Die Worte aus dem Mund der Maske waren Ge-
setz. Noch nie hatte jemand gewagt, gegen ihre Weisung
zu handeln; er wäre vom Volk in der Luft zerrissen wor-
den. Wenn die Maske einen Krieg gegen ein Nachbarvolk
befahl, wurde Krieg geführt, und die Soldaten waren sich
des Erfolgs ihres Feldzuges so sicher, daß sie unweiger-
lich den Sieg errangen, zumal das angegriffene Volk, das
von der Weissagung mit Sicherheit schon erfahren hatte,
von vornherein nicht die Kraft zur Gegenwehr aufbrachte.
Gerichtsverfahren wurden so entschieden, wie die Maske
es wollte. Wurde ein Sohn oder eine Tochter durch ihren
Spruch von der Erbfolge ausgeschlossen, geschah dies,
und niemand wagte, die Richtigkeit dieses Beschlusses
anzuzweifeln.
Doch die Zeiten änderten sich, der Tempel und die
Maske gerieten, da andere Dinge im Leben des Volks wich-
tiger wurden, nach und nach in Vergessenheit. Die Tempel-
diener, die die Besucher früher vorgelassen hatten, waren
längst vertrieben worden. Und es kam der Tag, da sah man
die Maske nur noch als Kuriosität an, als Touristenattrak-
tion, als Besuchsziel für Schulklassen und Kindergärten.
An einem warmen Sommerabend nun, die Sonne schien
zwischen den Säulen in den Tempel herein, hatten alle Be-
sucher ihn bereits verlassen, mit Ausnahme eines kleinen
Mädchens, dessen Eltern in der Nähe ein Ferienhaus ge-
mietet hatten. Ihr war es im Bett zu langweilig geworden,
und so war sie aus dem Fenster geklettert, um sich den
Tempel, den sie von ihrem Zimmer aus gesehen hatte, an-
zuschauen und auch die „lustige“ Maske zu suchen, von
der sie schon gehört hatte.
Im Tempel brauchte sie gar nicht lange nach ihr zu
forschen, denn das Licht der tiefstehenden Sonne schien
auf das metallene Gesicht und ließ es hell erglänzen. Nor-
malerweise lag die Maske mit ihren weisen und zugleich
streng anmutenden Zügen halb im Dunkel, man ahnte
dann mehr als man sah.
Das Mädchen ging geradewegs auf sie zu und wollte
sie eingehender untersuchen, wegen eines Gitters kam sie
aber nicht nahe genug heran, um sie anzufassen. So be-
gnügte sie sich damit, das goldene Blech genau zu betrach-
ten. Auf einmal war es ihr, als ob sich hinter den Augen-
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