Suworow Wiktor - Marschall Zukow.pdf
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Titelseite: Jirka Buder, unter Verwendung eines Fotos des
DIZ/Süddeutscher Verlag
Aus dem Russischen übersetzt von Bernd Reimann
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Suvorov, Viktor:
Marschall Schukow : Lebensweg über Leichen / Viktor Suworow.
Gescannt von
c0y0te.
Dieses e-Book ist eine private Kopie und nicht zum Verkauf bestimmt!
Selent: Pour le Mérite, 2002 ISBN 3-932381-15-7
-
Einem großen Mann namens Lew gewidmet
ISBN 3-932381-15-7 © 2002 Pour le Mérite. Alle Rechte vorbehalten
Pour le Mérite-Verlag für Militärgeschichte Postfach 52, D-24236 Selent
Gedruckt in Österreich
Kapitel l
... ist heilig zu sprechen
“Unsere Toten lassen uns nicht im Stich in der Not.. ,”
1
W. Wyssotzki
1.
Ganz am Ende ihrer Geschichte stand die Sowjetunion ohne Helden da.
Es zeigte sich, daß die Führer des Landes - ausnahmslos alle - eine Bande von
Kriminellen und Halunken gewesen waren.
Verläßt man die astronomischen Höhen des Kreml und wirft einen genaueren
Blick auf die bescheidenen Helden, an denen sich das Volk ein Beispiel nehmen
sollte, so verliert auch hier das Heroische seinen Glanz.
Nehmen wir das legendäre Gefecht vom 16. November 1941 am Eisen-
bahnkreuzungspunkt Dubossekowo. Auf sowjetischer Seite standen 28 Soldaten
der 4. Kompanie des 1075. Schützenregiments der 316. Schützendivision unter
dem Kommando von Generalmajor I. W. Panfilow. Ihre Bewaffnung bildeten
Gewehre, Granaten und Flaschen mit Brandsätzen. Es gab weder Panzer noch
Artillerie. Die Deutschen verfügten über 54 Panzer, unterstützt von 20
Minenwerfer- und Geschützbatterien.
Die Worte, die Politleiter Dijew vor dem Gefecht an die Soldaten richtete,
gingen um die ganze Welt: “Rußland ist groß, aber es gibt keinen Platz zum
Zurückweichen - hinter uns liegt Moskau!” In heldenhaftem Kampf vernichteten
Panfilows Soldaten zahlreiche Panzer, gaben dabei ihr Leben - bis zum letzten
Mann, doch sie ließen den Feind nicht nach Moskau vordringen ... Der
Befehlshaber der Westfront, Armeegeneral Georgi Konstantinowitsch Schukow,
veranlaßte ein Auszeichnungsgesuch. Auf Erlaß des Präsidiums
5
des Obersten Sowjets wurde jedem der 28 Kämpfer posthum der Ehrentitel Held
der Sowjetunion verliehen ...
Am Beispiel dieser Großtat sind wir alle erzogen worden.
Aber da gab es Unklarheiten. Sie tauchten bereits 1941 auf. Am 27. November
1941 berichtete die Armeezeitung
Krasnaja swesda
(Roter Stern), an der Spitze
der 28 Helden habe Politleiter Dijew gestanden. Am 22. Januar 1942 wurde diese
Funktion von der gleichen Zeitung einem Politleiter Klotschkow zugeschrieben.
Versuche, beide Personen in einer summarischen Gestalt zu vereinen, zeitigten
entgegengesetzte Ergebnisse: Der Held vervielfältigte sich. In die sowjetische
Geschichtsschreibung ging er in vier Varianten ein: Dijew, Klotschkow,
Klotschkow-Dijew und Dijew-Klotschkow.
Und wenn alle umkamen, bis zum letzten Mann, woher wissen wir dann, was
der mutige Politleiter vor dem Gefecht sagte?
Es gab auch andere Ungereimtheiten - die noch viel erstaunlicher waren.
Nach dem Krieg befaßte sich die Militärstaatsanwaltschaft mit der Episode. Und
dabei kamen wahrhaft phantastische Einzelheiten ans Licht. Vor allem eine:
Hinter den Soldaten lag zwar Moskau, doch es gab noch Rückzugsräume. Denn in
diesem Gefecht wurde das 1075. Schützenregiment aus seinem Frontabschnitt
verdrängt. Was den Kommandeur und den Kommissar der Einheit die
Dienststellung kostete.
Und noch ein Moment. Wenn die 4. Kompanie des 2. Bataillons vollkommen
aufgerieben wurde und doch den Feind nicht durchließ, wenn vor den
Schützengräben des 2. Bataillons zu Dutzenden deutsche Panzer brannten, dann
hätte der Bataillonskommandeur Major Reschetnikow darüber Bericht erstatten
müssen. Doch aus unerfindlichen Gründen tat er es nicht. Offenbar waren ihm die
brennenden deutschen Panzer entgangen. Keinerlei Bericht über die militärische
Großtat lieferten auch der Kommandierende des 1075. Schützenregiments, Oberst
L W. Koprow, der Kommandierende der 316. Schützendivision, Generalmajor I.
W. Panfilow, und der Befehlshaber der 16. Armee, Generalleutnant K. K.
Rokossowski. Von einigem Interesse ist darüber hinaus der Umstand, daß die
Deutschen ebensowenig von diesem Gefecht wußten. Da lag die Frage nahe:
Wenn keiner der Frontkommandeure Bericht erstattete, wie erhielt dann Moskau
Kenntnis davon?
Als erstes vermeldete das Zentralorgan der Armee,
Krasnaja swesda
, die
Großtat. Der Literatursekretär der Zeitung, A. J. Kriwitzki, beschrieb den hel-
denhaften Kampf, als sei er dabei gewesen. Aber war er wirklich Augenzeuge? In
der Militärstaatsanwaltschaft stellte man Kriwitzki höflich die Frage, ob er sich
am 16. November 1941 im Gebiet des Eisenbahnkreuzungspunktes Dubossekowo
aufgehalten habe. Heraus kam: Besagter Genosse war zu besagter Zeit nicht in
besagtem Kampfgebiet. Wäre er es gewesen,
6
hätte er diese Hölle nicht lebend verlassen. Beim Verhör mußte Kriwitzki zu-
geben: Er hatte den November 1941 in Moskau zugebracht. Von der Heldentat
erfuhr er durch den Militärkorrespondenten W. Korotejew, der bei den Truppen
gewesen war. Wobei er sich allerdings nur bis zum Stab der 16. Armee an die
vorderste Frontlinie heranwagte. Dort, im sicheren Windschatten des Stabes, hatte
der brave Kriegsberichterstatter denn auch das Gerücht vom heldenmütigen
Widerstand der Panfilow-Soldaten aufgeschnappt und wie eine geschwätzige
Elster in die Redaktionsstuben der
Krasnaja swesda
weitergetragen.
Bei den Ermittlungen klärte sich auch die Herkunft der Zahlen, mit denen die
Zeitung die Öffentlichkeit in ehrfürchtiges Staunen versetzt hatte. Die Statistik der
Heldentat war so entstanden: Der Chefredakteur der
Krasnaja swesda
, D.
Ortenberg, hatte Korotejew gefragt, wieviel Mann die heldenhafte Kompanie
gezählt habe. Der antwortete: “30 bis 40.” Man einigte sich auf 30. Aber die
konnten nicht alle Helden gewesen sein. Das ging wirklich nicht. Es gab ja auch
in der Sowjetarmee Negativbeispiele. Schließlich hatte der Oberste Befehlshaber,
Genosse Stalin, in seinem Befehl Nr. 308 vom 18. September 1941 gefordert,
“Feiglinge und Panikmacher mit eiserner Hand zu zügeln”. Also hatten zwei
Soldaten vor dem Gefecht die Hände gehoben und sich dem Feind ergeben
wollen. Und waren, versteht sich, auf der Stelle von den eigenen Leuten
erschossen worden. Mit eiserner Hand gezügelt sozusagen. Blieben also wieviel
Helden übrig? Richtig, 28. Dann, nach einigem Überlegen, besann sich Ortenberg:
Zwei Verräter, das war doch etwas viel - und strich einen. Aber die Zahl der
Helden beließ man bei 28. Und wieviel Panzer hatten die Deutschen aufgeboten?
Zwei auf jeden russischen Helden, einmal angenommen ... Macht also 56. Die
reduzierte der Chefredakteur - wieder nach einigem Nachdenken - um zwei. Das
klang glaubhafter. Mit den Jahrzehnten verringerte sich ihre Zahl sogar auf 18.
Aber auch das war reine Zahlenakrobatik. Man teilte einfach 54 durch 3. Hätten
unsere glorreichen Ingenieure der menschlichen Seelen noch weiter so tapfer
geteilt und subtrahiert, wären sie schließlich dicht bei der Wahrheit gelandet.
Im Zuge der Ermittlungen kamen peinliche Dinge zutage, die man besser schnell
vergaß. Deshalb hängte die Militärstaatsanwaltschaft die Angelegenheit nicht an
die große Glocke. Man hätte die Schreiberlinge bestrafen und dem Chefredakteur
einen Denkzettel verpassen können. Aber die Ruhmestat der Panfilow-Soldaten
war bereits in Enzyklopädien und Schulbücher eingegangen, in Granit gehauen,
mit ehernen Lettern in der Geschichte des Krieges verewigt als eine seiner
eindrucksvollsten Episoden. Außerdem gab es da eine Verbindung zu G. K.
Schukow, Marschall der Sowjetunion. Hatten die Schreiberlinge des Guten zuviel
getan?
7
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